Früherer Bundesinnenminister Gerhart Baum: Merkel muss mehr Mut in US-Spionage-Affäre zeigen

Berlin · Die Bundesregierung wehrt sich nach Ansicht des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum nicht stark genug gegen die Spionage der US-Geheimdienste. Sie müsse mehr Mut aufbringen, so der 81-Jährige FDP-Politiker.

SZ-Korrespondent Hagen Strauß sprach mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum (81) über Angela Merkels Reaktion auf die Spionageaktivitäten der US-Geheimdienste. Baum meint: Merkel muss mehr Mut haben.

Herr Baum, handelt die Bundesregierung jetzt entschlossener in der NSA- und Spionage-Affäre?
Baum: Sie hat ein Zeichen gesetzt, aber das ist viel zu wenig. Ich wehre mich deshalb dagegen, dass jetzt der Eindruck einer entschlossenen Regierung entsteht. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz. Vom eigentlichen Problem lenkt die Bundesregierung ab. Das ist die Massenspionage durch die NSA, die massenhafte Ausspähung unserer Privatsphäre durch Erfassung aller Kommunikationsverbindungen einschließlich unserer Computer. Dagegen hat unsere Regierung bisher keinen sichtbaren Widerstand geleistet und nichts erreicht, obwohl sie verpflichtet ist, unsere Grundrechte zu schützen.

Washington ist aber offenbar ziemlich egal, was die Bundesregierung will.
Baum: Das mag ja sein, obwohl sich in den USA auch Widerstand zeigt. Aber wir können doch nicht die tiefen Eingriffe in die Grundrechte und in unsere Souveränität durch die USA hinnehmen. Die Regierung stürzt sich auf die spektakulären Fälle. Ich nenne das das "Merkel-Handy-Syndrom". Aber durch eine Ausweisung eines Botschaftsmitarbeiters wird nicht das NSA-Problem gelöst, das Edward Snowden enthüllt hat. Und: Wie verhält sich die Bundesregierung zu der massenhaften Datenweitergabe durch den BND in die USA? Das ist grundgesetzwidrig!

Aber wo liegt aus Ihrer Sicht der Hebel der Regierung?
Baum: Er liegt in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich eine anlasslose Speicherung von Daten verboten. Und die Amerikaner tun so, als gäbe es keine europäische Grundrechtscharta. Ein geeignetes Mittel ist auch die europäische Datenschutzgrundverordnung. Sie gibt den Europäern den Hebel in die Hand. Aber hier blockiert die deutsche Regierung. Ich würde übrigens auch Edward Snowden in Deutschland aufnehmen. Er hat unsere Werte verteidigt - jetzt müssen wir ihn verteidigen.

Ist die Ausweisung des Geheimdienstlers nicht auch ein Schritt in Richtung mehr Eigenständigkeit der deutschen Seite?
Baum: Ich hoffe jedenfalls, dass jetzt die deutsche Regierung endlich den Mut aufbringt, die Amerikaner, unseren wichtigen Verbündeten, in die Schranken zu weisen.

Was halten Sie von Gegenspionage, wie der Innenminister vorgeschlagen haben soll?
Baum: Das ist Quatsch. Außerdem leben wir doch im Zeitalter der digitalen Revolution. Spioniert wird heute vor allem durch digitale Ausforschung.

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