Bundestagswahl 2021 Wahltrends – Union oft runter, FDP häufig rauf

Analyse | Berlin · Noch wenige Wochen sind es bis zur Bundestagswahl. Wie sahen die Werte zu diesem Zeitpunkt vor den vergangenen sechs Bundestagswahlen aus? Ein Vergleich unter starken Vorbehalten, aber mit verblüffenden Trends.

 Stimmabgabe Anfang Juni in Magdeburg - bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl.

Stimmabgabe Anfang Juni in Magdeburg - bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

In den regelmäßigen Sonntagsfragen versetzen die Demoskopen die Bürger in die Vorstellung, was sie wählen würden, wenn nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. Nur selten stehen die Wahlabsichten aber so früh schon so klar fest. Bewegung ist immer. Manchmal auch sehr stark. So rauschte die Union bei den letzten Wahlen noch über sechs Prozentpunkte nach unten, 2005 waren es sogar mehr als acht Punkte. Mit einem Power-Wahlkampf hatte es der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder geschafft, die Werte für die Sozialdemokratie um mehr als sieben Punkte nach oben zu pushen. Wären die Wahlen nur eine Woche später gewesen und hätte der Trend angehalten – Angela Merkel wäre nicht Kanzlerin geworden.

Den umgekehrten Weg absolvierte SPD-Herausforderer Rudolf Scharping 1994. Im Frühjahr lag seine SPD über 40, die Union von Helmut Kohl bei 35 Prozent. Bei den Wahlen hatte Kohl das mehr als gedreht. Knapp wurde es für ihn nur, weil die Stimmen von SPD, Grünen und PDS zusammen fast an Union und FDP heranreichten; allerdings wäre ein solches Linksbündnis damals vollkommen unrealistisch gewesen.

Das ist heute anders. Und deshalb ist die Antwort auf die Frage interessant, ob sich aus den letzten sechs Wahlen generelle Trends herauslesen lassen, die mehr über die mögliche Stimmung am 26. September ahnen lassen. Nimmt man den Mittelwert der Prozentzahlen aus den Sonntagsfragen von Infratest dimap (ARD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) rund 75 Tage vor der jeweiligen Bundestagswahl und vergleicht sie dann mit den jeweiligen Ergebnissen, ergibt sich als Trend, dass die Union fünf Mal schlechter und einmal besser abschnitt, die SPD viermal schlechter und zweimal besser, die Grünen dreimal schlechter und dreimal besser und die FDP sowie die Linken je einmal schlechter und fünfmal besser. Die AfD hatte bislang zweimal bessere Ergebnisse als 75 Tage vorher ermittelt.

Projizieren wir diese Trends auf die aktuellen Umfragen, dann könnte die Union eher unter 27 als über 30 Prozent liegen, die SPD eher bei 15 als bei 20, die Grünen eher unter 17 als über 20, die FDP eher bei 13, die Linken bei neun und die AfD bei zwölf. Daraus wiederum ergibt sich, dass weder die große Koalition aus Union und SPD noch Schwarz-Grün eine Mehrheit bilden könnten. Auch für Rot-Grün-Rot oder Grün-Rot-Rot würde es nicht reichen. Nur zwei Dreier-Kombinationen könnten die Mehrheit hinter sich bringen: Eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP sowie eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP, wie sie sich just wenige Wochen vor den Bundestagswahlen in Magdeburg bilden könnte.

Allerdings lässt sich der Trend nur unter großen Vorbehalten übertragen. Zum einen mit Blick auf die Grünen, die mal zulegten, mal abnahmen. Zum anderen bei der Union, deren Sprünge nach oben oder unten mal groß und mal sehr klein waren.

Zudem unterscheidet sich diese Wahl fundamental von allen zurückliegenden, wie Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts policy matters herausstellt. Erstmals trete eine amtierende Kanzlerin nicht wieder an. Früher sei es für die Wähler stets um die Alternative zwischen Amtsinhaber und Herausforderer gegangen. „Diesmal haben sie nur die Wahl zwischen Herausforderern“, sagt Hilmer.

Zudem gebe es erstmals drei aussichtsreiche Bewerber, sodass es mehr als sonst auf die Performance der Kandidaten in den Triellen ankomme. 75 Tage vor der Wahl sei auch immer noch weitgehend offen, welche Probleme bei der Wahlentscheidung im Vordergrund stehen werden. Hilmer: „Ist es die Klimapolitik, steigen die Chancen der Grünen, ist es die Bewältigung der Corona-Folgen für die Wirtschaft, dürfte die Union profitieren, sind es Fragen sozialer Gerechtigkeit, könnte dies der SPD Aufwind geben – und das Thema Migration, von dem vor allem die AfD profitiert, ist ebenfalls noch virulent.“

Unklar ist auch der Corona-Faktor. Die Verärgerung nach der zweiten und dritten Welle sei zwar weitgehend abgeklungen. Aber die Skepsis gegenüber einer belastbaren und vorausschauenden Pandemie-Politik ist nach der Analyse von Hilmer nach wie vor groß. Das könne bei wieder steigenden Inzidenzen zu einer Belastung für die aktuellen Koalitionsparteien CDU, SPD und CSU werden. Weitere Unwägbarkeiten kommen mit dem steigenden Anteil der Briefwähler ins Spiel. Sollte dieser wegen Corona noch deutlich steigen, hat man es mit unterschiedlichen Themen zu tun, die für die jeweiligen Zeitpunkte der Stimmabgabe wichtig seien.

Schließlich finde die Wahl in einer Zeit zunehmender Polarisierung der Bevölkerung statt, die sich auch in einer wachsenden Skepsis gegenüber der Fähigkeit der Politik ausdrücke, die anstehenden Probleme zu lösen. „Damit einher geht eine sinkende Parteibindung, was Vorhersagen des Ausgangs der Wahl noch unsicherer macht“, lautet der Befund des Demoskopen.

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