Forsa-Chef Manfred Güllner zur Europawahl „Es fehlt ein für alle wichtiges, konkretes Thema“

Berlin · Der Chef des Meinungsforschungs-Instituts Forsa sieht die Bundesbürger für die Europawahl nur mäßig motiviert. Er kritisiert die „Splittergruppen“.

 Forsa-Chef Manfred Güllner sagt: „Man kann es mit der Demokratie auch übertreiben.“   Foto: Pedersen/dpa

Forsa-Chef Manfred Güllner sagt: „Man kann es mit der Demokratie auch übertreiben.“ Foto: Pedersen/dpa

Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

Am 26. Mai wird in Deutschland das Europäische Parlament neu gewählt. Vor fünf Jahren war die Mehrheit der wahlberechtigten Bundesbürger (fast 52 Prozent) der Europawahl fern geblieben. Wie mobilisiert sind die Wähler diesmal? Der Chef des Umfrage-Instituts Forsa, Manfred Güllner, gibt zu bedenken, dass anders als bei anderen Urnengängen die Europawahl nicht von Personen geprägt wird.

Herr Güllner, welche Rolle spielt die Europawahl im Bewusstsein der Deutschen?

GÜLLNER Man muss davon ausgehen, dass die Wahlbeteiligung auch diesmal nicht wesentlich höher ist als 2014, weil Europa nach wie vor kaum politische Konturen hat. Die Deutschen sind traditionell europafreundlich. Ein Brexit wäre hierzulande nicht passiert. Aber die Europawahl ist eher etwas Abstraktes. Die Leute wissen nicht genau, was sie eigentlich wählen.

Die Europawahl steht im Zeichen des Brexit sowie des Erstarkens populistischer und nationalistischer Strömungen. Wirkt das für Europa-Anhänger nicht mobilisierend?

GÜLLNER Der Brexit hat das Interesse am europäischen Geschehen sicher stark gefördert. Das heißt aber nicht, dass die Menschen deshalb automatisch zur Wahl gehen. Es ist auch kein zündendes Wahlmotiv, gegen etwas zu sein. Vielmehr ist man für eine Partei, von der man glaubt, dass sie die eigenen Interessen am besten vertritt.

Gibt es kein europäisches Thema, das die Bundesbürger elektrisiert?

GÜLLNER Die allermeisten Deutschen wissen, dass ihnen die EU Vorteile bringt. Aber es fehlt ein für alle wichtiges, konkretes Thema, wie das häufiger bei Bundestagswahlen der Fall war. Die Bürger nehmen wahr, dass es Kontroversen zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage gibt, aber wirklich wahlentscheidend ist das für sie nicht.

Aber die meisten Parteien betonen doch, wie wichtig ihnen Europa sei.

GÜLLNER Die Parteien beginnen immer erst kurz vor knapp mit solchen Beteuerungen. Diesmal finden in zehn von 16 Bundesländern zeitgleich noch Kommunalwahlen statt. Diese Kommunalwahlen sind dort nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Parteien wichtiger als die Europawahl. Letztlich sind die Parteien durch die Kopplung von Europa- und Kommunalwahl selbst daran schuld, dass die Europawahl entwertet wird.

Wahlkämpfe werden in der Regel von Personen geprägt. Aber die Spitzenkandidaten zur Europawahl kennen nur die wenigsten. Woran liegt das?

GÜLLNER Man kann sich vorstellen, was ein Kanzlerkandidat ist. Aber nicht, was ein sogenannter Spitzenkandidat im Europaparlament tut. Deshalb spielen Personen bei der Europawahl kaum eine Rolle. Zumal die Parteien lange Zeit auch nicht gerade die besten Leute nach Europa geschickt haben.

Anders als bei der Bundestagswahl mit dem System aus Erst- und Zweitstimme kann der Bürger bei der Europawahl nur eine Stimme vergeben. Ist das besser für ihn oder schlechter?

GÜLLNER Nur eine Stimme zu haben, erleichtert die Wahlentscheidung. Zumindest bei Kommunalwahlen hat die Anzahl der zu vergebenden Stimmen auch Einfluss auf die Wahlbeteiligung. Als zum Beispiel in Hessen die Kommunalwahl noch rein nach dem Verhältniswahlrecht ablief, war die Beteiligung fast so hoch wie bei Landtagswahlen. Doch als man anfing, zu experimentieren, also zu kumulieren, zu panaschieren und Stimmzettel wie in Frankfurt bis zu 1,52 Meter breit wurden, ging die Zahl der ungültigen Stimme nach oben und die Wahlbeteiligung nach unten. So gesehen kann man es mit der Demokratie auch übertreiben.

2014 waren in Deutschland 25 Parteien für die Europawahl zugelassen. Diesmal sind es deutlich mehr, nämlich 41. Wie beeinflusst das die persönliche Wahlentscheidung?

GÜLLNER Auch das schwächt die Demokratie. Splittergruppen machen sich einen Spaß daraus, zu kandidieren und ihre Nörgeleien über die Fernsehwahlwerbung bundesweit zu verbreiten. Es ist schwer zu verstehen, warum so etwas überhaupt zugelassen wird.

Wagen Sie bereits eine Prognose, wer besonders gut abschneiden könnte?

GÜLLNER Das ist schwer abzuschätzen. Viele erwarten ein gutes Ergebnis für die AfD. Aber nachdem das Klimaschutz-Thema in aller Munde ist und nicht mehr die Flüchtlingsproblematik, kann man auch bezweifeln, ob der AfD eine überdurchschnittlich hohe Mobilisierung gelingt. Hinzu kommt: Die AfD will weg von Europa, sie kandidiert aber für Europa. Das kann zu Irritationen führen. Am Ende kommt es auf die Wahlbeteiligung an. Wenn sie hoch ist, haben kleinere Parteien geringere Erfolgschancen.

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