Finanzminister bei der SZ Scholz sieht Europa am Scheideweg

Saarbrücken · Der Bundesfinanzminister will die „soziale Dimension“ der EU stärken. Deutschland sieht er trotz schwächelnder Konjunktur auf Wachstumskurs. Von den Sozialismus-Thesen des Juso-Chefs Kühnert distanziert sich Scholz im SZ-Redaktionsgespräch.

 Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Gespräch mit der Redaktion der Saarbrücker Zeitung.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Gespräch mit der Redaktion der Saarbrücker Zeitung.

Foto: Oliver Dietze

Olaf Scholz fasst sich gerne kurz. Jedenfalls dann, wenn ihm eine Frage nicht gefällt. „Minister wortkarg“ nannte eine Zeitung den Bundesfinanzminister vor einer Woche, als es um die geplatzte Fusion zwischen Deutscher Bank und Commerzbank ging, die angebliche „Großbank-Vision“ des Sozialdemokraten. Jetzt hat die CSU den Minister wegen Juso-Chef Kevin Kühnert aufgefordert, ein „klares Signal gegen Sozialismus“ zu setzen. Haben die Christsozialen ihm mitgeteilt, was genau sie erwarten? Nein. Sagt Scholz.

Der Vize-Kanzler reagiert mit Lakonik auf die extremen Ausschläge der bundespolitischen Debatte, die sich in wenigen Tagen vom Finanzkapitalismus zum Sozialismus verlagert hat. Trotzdem dauert das SZ-Redaktionsgespräch mit ihm eine Stunde. Ausführlicher äußert sich Scholz über Europa und den Europawahlkampf, dessen heiße Phase die SPD am Freitag in Saarbrücken mit Parteiprominenz eingeläutet hat. Er spricht über Mindestlohn, Grundsteuer, Konjunktur, Schuldenbremse.

Aber zuerst geht es um Juso-Chef Kühnert, der in einem „Zeit“-Interview über den demokratischen Sozialismus nachdachte. Auch darüber, wie sich BMW kollektivieren und die Wohnungswirtschaft abschaffen ließe. „Das sind Aussagen des Vorsitzenden der Jugendorganisation“, sagt Scholz. „Er vertritt utopische Thesen, die werden aber in der SPD nicht geteilt und bestimmen auch nicht die konkrete Partei-Agenda.“ Das wisse auch jeder, in der Partei wie in der Öffentlichkeit, so der Finanzminister. „Die Debatte darüber ist aus meiner Sicht etwas atemlos.“

CSU-Chef Markus Söder nutzte Kühnerts Thesen, um den Ton im Streit um eine Grundsteuerreform zu verschärfen. Für die Kommunen ist die Steuer eine der solidesten Einnahmequellen, sie sichert ihnen etwa 14 Milliarden Euro. Doch: Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherige Berechnung gekippt. Noch in diesem Jahr muss eine Reform her. „Nachdem über Jahrzehnte sich alle davor gedrückt haben, eine Neuregelung der Grundsteuer zustande zu bringen, haben wir jetzt vom Bundesverfassungsgericht die Aufgabe bekommen, es ganz schnell hinzukriegen“, sagt Scholz.

Der Finanzminister möchte eine wertabhängige Berechnung der Grundsteuer, den Grundstückswert und anderes einbeziehen. Dagegen wehrt sich Bayern, der Freistaat fordert eine Öffnungsklausel bei der Reform. Sie soll den Ländern ermöglichen, eigene Regelungen zu finden – unabhängig von dem, was Scholz vorschwebt. Das Bundesinnenministerium, geführt von Horst Seehofer (CSU), hält eine solche Klausel laut „Rheinischer Post“ für verfassungskonform. „So etwas muss man sorgfältig prüfen“, sagt Scholz. „Es macht keinen Sinn, etwas energisch zu wollen, was das Grundgesetz nicht hergibt.“

Sollte die Grundsteuerreform scheitern, wäre das für Städte und Gemeinden eine Katastrophe. Und das in Zeiten, in denen die Gewerbesteuereinnahmen nachlassen. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose auf 0,5 Prozent abgesenkt. „Wir haben ein geringeres Wachstum, alle Konjunkturforscher sagen uns aber voraus, dass wir zum Jahresende wieder mit einer stärkeren wirtschaftlichen Belebung rechnen dürfen“, sagt Scholz. Demnächst steht die Steuerschätzung an. Der Finanzminister hatte zum Jahreswechsel angekündigt, die „Zeit der fetten Jahre“ sei vorbei. Nun erklärt er: „Die Steuereinnahmen steigen, wenn auch nicht so stark, wie sich einige das erhofft haben.“

Angesichts der eingetrübten Konjunktur hatte sich Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) zuletzt mehr Freiräume für Investitionen gewünscht, die Schuldenbremse in Frage gestellt. Was sagt Scholz als Verteidiger einer „schwarzen Null“ zum Vorstoß seiner Parteigenossin? „Ich bin überzeugt, dass das eine gute Selbstbeschränkung ist“, wirbt er für die Schuldenbremse. „Wir müssen sie in der Praxis so anwenden, dass Investitionen dadurch nicht beeinträchtigt werden.“

Geht es nicht um Deutschland, sondern die Europäische Union, sagt Scholz: „Wir stehen an einer Wegscheide. Wenn wir Europa lediglich als Verfeinerung von Binnenmarktstrukturen begreifen, springen wir zu kurz.“ Als Sozialdemokrat erklärt er: „Europa muss eine soziale Dimension haben, damit der Kontinent weltoffen sein kann.“ Vor diesem Hintergrund interpretiert er auch das Votum für einen britischen EU-Austritt: „Ich verstehe den Brexit so: In Großbritannien haben viele gegen die EU gestimmt, aber eigentlich wandte sich ihr Unmut gegen die Folgen der Globalisierung.“

 Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD, links) im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst.

Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD, links) im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst.

Foto: Matthias Zimmermann

Im Europawahlkampf werben die Sozialdemokraten unter anderem mit dem Mindestlohn. Dessen Höhe möchte Scholz in Deutschland überprüfen lassen, schon länger will der Finanzminister „in die Richtung von 12 Euro pro Stunde“, um Altersarmut vorzubeugen. Auch Europa brauche ein System von Mindeslöhnen, ist er überzeugt. „Natürlich kann er nicht in jedem Land gleich hoch sein“, so Scholz. Die SPD schlage vor, sich an 60 Prozent des Median-Einkommens zu orientieren. So steht es auch im Wahlprogramm der Genossen für die Europawahl am 26. Mai.

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