FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle beharrt auf der Abschaffung des Soli

Berlin · Nach seinem schweren Treppensturz im Juni fühlt sich Rainer Brüderle (68) inzwischen wieder fit. 200 Wahlkampftermine will er bis zum 22. September absolvieren - trotz laufender Reha. Im Gespräch mit unseren Korrespondenten Hagen Strauß und Werner Kolhoff erklärt der FDP-Spitzenkandidat und Fraktionschef, welchen Preis er für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb verlangt und lässt offen, was er selbst nach der Wahl werden will.

Herr Brüderle, die FDP plakatiert: Keine neuen Schulden, keine neuen Steuern. Vor vier Jahren war ihre Partei noch für etwas, nämlich für Steuersenkungen. Warum plötzlich so bescheiden?
Brüderle: Wenn man keine neuen Schulden will, ist das eine ambitionierte Aussage. Wir haben in den letzten vier Jahren die Menschen um 22 Milliarden Euro entlastet - durch Steuer- und Beitragssenkungen und die Abschaffung der Praxisgebühr. Ja, wir wollten mehr. Aber wir mussten auch 90 Milliarden Euro für den europäischen Rettungsfonds ESM aufbringen. Und wir mussten den maroden Haushalt, den Rot-Grün und Rot-Schwarz mit dem Finanzminister Peer Steinbrück hinterlassen hatten, sanieren. Das ist uns gelungen. Und trotzdem werden wir im nächsten Jahr einen strukturell ausgeglichen Etat vorlegen.

Trotzdem - Minimalziel bleibt Minimalziel.
Brüderle: Moment. Die SPD will die Bürger mit 38 Milliarden Euro zusätzlich belasten, die Grünen wollen den Menschen sogar 42 Milliarden Euro mehr aufbürden. Bei unseren politischen Gegnern läuft also alles in die andere Richtung.

Das gilt aber auch für die Union, die schon Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro beschlossen hat.
Brüderle: Das belegt doch: Wer keine neuen Steuern und keine neuen Schulden will, muss FDP wählen.

Aktiv propagieren Sie nur die Senkung des Soli, was die Kanzlerin ablehnt. Pocht die FDP auf ihre Forderung in einem neuen Koalitionsvertrag?
Brüderle: Wir wollen nur einhalten, was Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher vor 20 Jahren versprochen haben. Nämlich, dass es sich beim Soli um eine zeitlich befristete Ergänzungsabgabe handelt und nicht um eine dauerhafte Steuererhöhung. 2019, mit dem Auslaufen des Solidarpakts, muss der Soli Geschichte sein.

Die Koalition streitet auch über die Vorratsdatenspeicherung. Wird sich die FDP im Gegenzug da bewegen?
Brüderle: Wir haben eine klare Position - und die gilt auch für die nächste Legislaturperiode: Man kann nicht jeden Bürger durch eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unter Generalverdacht stellen. Ich glaube auch, dass durch die NSA-Affäre das Bewusstsein der Bürger diesbezüglich drastisch geschärft ist. Deshalb bekommen wir auch immer mehr Zuspruch für unsere Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung. Unsere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und mit ihr die gesamte FDP lagen da von Anfang an richtig.

Wieder an Fahrt gewonnen hat die Debatte um weitere Griechenlandhilfen. Muss man dem Wähler nicht vor der Wahl klar sagen, was da noch auf ihn zukommt?
Brüderle: Keiner glaubt, dass die Probleme Griechenlands Ende 2014 bereits alle erledigt sein werden. Aber wir sollten erst prüfen, wie die bisherigen Maßnahmen gewirkt haben und was noch zu tun ist. Die Griechen haben eine ganze Reihe von Reformen umgesetzt. Niemand kann heute seriös vorhersagen, was gegebenenfalls an weiteren Programmen nötig sein wird. Ich halte auch nichts davon, durch verfrühte Debatten den Reformdruck auf Griechenland abzuschwächen.

Hat Griechenland eine Zukunft im Euro?

Brüderle: Ich glaube schon, aber das entscheidet allein Griechenland. Das Land muss die Reformen konsequent umsetzen und endlich auch zu einer seriösen Besteuerung kommen. Was mich ärgert ist, dass in Griechenland tatsächlich noch viele Reiche angeblich immer noch steuerfrei gestellt sind. Es ist nicht in Ordnung, wenn die Oberschicht einen Großteil ihres Geldes aus dem Land schafft und Europa den griechischen Sozialstaat finanzieren soll.

Derzeit wird der Wahlkampf auch von der Lage in Syrien überschattet. Sollte sich Deutschland an einer militärischen Intervention beteiligen?
Brüderle: Die Lage in Syrien ist sehr ernst. Es ist wichtig, dass die Vereinten Nationen jetzt vor Ort sind. Ich möchte über möglicherweise nötige Maßnahmen nicht spekulieren. Wir sollten uns eng mit unseren Partnern abstimmen.

Chaos in Ägypten, in Libyen, jetzt in Syrien, ist der arabische Frühling gescheitert?
Brüderle: Das will ich nicht hoffen. Demokratisierungsprozesse laufen nicht über Nacht. Deutschland engagiert sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bei der Stabilisierung und dem Aufbau einer Zivilgesellschaft in diesen Ländern. Und das möchte die christlich-liberale Koalition fortsetzen.

Ihr Wahlslogan heißt: Nur mit uns. Wollen Sie in jedem Fall mitregieren, auch mit SPD und Grünen?
Brüderle: Es gibt keine inhaltliche Basis für eine Ampel. Das ist ganz besonders deutlich im Kontrast zu den Grünen und ihren Verbotsvorstellungen. Von einer neuen Steuer auf Plastiktüten bis hin zu Vorschriften fürs Essen durch den Veggie-Day wollen sie ins Leben der Menschen eingreifen. Mit uns nicht.

Aber was soll die Ausschließeritis? Sie selbst haben in Rheinland-Pfalz lange mit Sozialdemokraten regiert.
Brüderle: Wir sind eine Partei der Freiheit. Das funktioniert mit SPD und Grünen auf Bundesebene nicht.

Bei den anderen Spitzenkandidaten ist klar, was sie im Falle eines Wahlerfolges werden wollen. Was will Rainer Brüderle werden?
Brüderle: Wir wollen erst erfolgreich bei der Wahl sein, dann erfolgreich in den Koalitionsverhandlungen mit der Union. Und am Schluss entscheiden wir, welche Frau und welcher Mann welche Aufgabe übernimmt.

Die Sexismus-Vorwürfe im Januar, der schwere Treppensturz im Juni - war 2013 für Sie das persönlich schwierigste Jahr?
Brüderle: Es war für mich vielleicht kein ganz einfaches, aber politisch ein sehr erfolgreiches Jahr. Deutschland geht es 2013 so gut wie lange nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort