Vorschlag der EU-Kommission Europas Fahrplan für den Wiederaufbau

Brüssel · Die EU-Kommission will den Krisen-Fonds auf 750 Milliarden Euro erhöhen. Ursula von der Leyen macht damit einen Kompromissvorschlag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trat gestern mit Schutzmaske vor das Europäische Parlament. 

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trat gestern mit Schutzmaske vor das Europäische Parlament. 

Foto: dpa/Etienne Ansotte

Es war der Tag, an dem Europa seine Solidarität wieder entdeckte. Als Ursula von der Leyen (CDU), die Präsidentin der Europäischen Kommission, mit Maske und stets auf soziale Distanz bedacht, vor das Europäische Parlament in Brüssel trat, wusste sie schon, dass sie ihre Unterstützer und Kritiker überrascht hatte. Denn die gewaltige Summe war schon durchgesickert. 750 Milliarden Euro schwer soll der Wiederaufbau-Fonds werden, mit dem die Gemeinschaft die ökonomischen Schäden aus der Coronavirus-Krise überwinden will – zusätzlich zu jenem 1,1-Billionen-Euro-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027. Und als Ergänzung jenes akuten Hilfspaketes über 540 Milliarden Euro, das bereits beschlossen wurde. „In der Summe würde das unsere Anstrengungen für die wirtschaftliche Erholung auf 2,4 Billionen Euro bringen“, rechnete von der Leyen vor.

Wie viel das in der wieder entdeckten „Währung Solidarität“ bedeutet, zeigen die Zahlen. Allein das besonders schwer von der Pandemie getroffene Italien könnte mit 173 Milliarden Euro an Zuwendungen und Krediten rechnen. Auf Spanien entfielen 140 Milliarden, auf Frankreich 39 Milliarden. Deutschland als wirtschaftsstärkste Nation bekäme immerhin noch 28 Milliarden Euro aus Brüssel. Manfred Weber (CSU), Chef der christdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, griff den Faden der Solidarität auf, sprach die Betroffenen in Italien direkt an: „Mit diesem Programm zeigen wir: Ihr seid nicht allein.“

Der über 1000 Seiten umfassende Vorschlag der Kommission ist ein Kompromiss. Er baut auf den 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen auf, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hatten. Und er ergänzt sie durch 250 Milliarden Euro, die als Kredite vergeben werden können – ganz so, wie es die sogenannten „Sparsamen vier“ Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich forderten. Deren Front bröckelte schon vor der Vorstellung. Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen signalisierte am Morgen, sie sei kompromissbereit. Allerdings sagte ein hochrangiger Diplomat der Niederlande, es seien noch lange Verhandlungen nötig. „Die Positionen liegen noch weit auseinander.“ Dagegen sprach der italienische Premierminister Giuseppe Conte von einem „hervorragenden Signal“ aus Brüssel. Europaminister Vincenzo Amendola meinte, der Vorschlag sei eine „solide Basis für eine erfolgreiche Einigung“ im Kreis der Staats- und Regierungschefs.

Die gewaltige Summe will die EU-Kommission am Finanzmarkt aufnehmen. Als Garanten treten die 27 Mitgliedstaaten in die Verantwortung. Die Schulden sollen ab 2028 über den EU-Etat abgestottert werden. „Solche Zuschüsse“, verteidigte die Kommissionspräsidentin ihre geplanten „Schenkungen“, seien eine „Investition in die Zukunft“. Zusätzlich will Brüssel neue Einnahmen erzielen – aus den Erlösen des Emissionshandels, aus einer neuen Plastiksteuer sowie aus der geplanten Digitalabgabe. Das eigentliche Wiederaufbau-Programm wird auf zwei Jahre befristet, die Gelder dürfen auch nur in bestimmte Bereiche fließen. Dazu zählen die Klimaneutralität, die Digitalisierung und die Verbesserung der Gesundheitsstruktur.

Doch nun braucht von der Leyen noch viel Zustimmung – vor allem von den 27 Staats- und Regierungschefs. Aber auch das EU-Parlament muss den Vorschlag mittragen. Dort gab es bereits kurz nach der Präsentation ein überwiegend positives Echo. Von „den richtigen Prioritäten“ sprach der Chef der SPD-Abgeordneten im europäischen Abgeordnetenhaus, Jens Geier. Der Finanzpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, Rasmus Andresen, bezweifelte allerdings, ob „der vorgeschlagene Fonds stark genug ist, die Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen“. Dagegen wandte sich der FDP-Europapolitiker Moritz Körner gegen jeden Versuch, „unter dem Deckmantel der Eigenmittelstärkung wirtschaftsgefährdende Steuern“ einzuführen. Noch deutlicher wurde der CSU-Finanzexperte Markus Ferber: „Wer allein auf höhere Eigenmittel setzt, die es wahrscheinlich niemals geben wird, baut ein Haus auf Sand“, betonte er.

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