Die Ergebnisse des EU-Gipfels Von der Leyen verlangt reichlich Hausaufgaben

Brüssel · Wenn schon um 14 Uhr des zweiten Tages Schluss ist, dann hat ein EU-Gipfel normalerweise entweder kein greifbares Ergebnis gebracht und sich vertagt, oder die Runde kam schneller als erwartet zu einvernehmlichen Ergebnissen.

 Kommissionschefin Ursula von der Leyen (links) mit Zentralbank-Präsidentin Christine Lagarde beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen (links) mit Zentralbank-Präsidentin Christine Lagarde beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel.

Foto: dpa/Geert Vanden Wijngaert

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht am frühen Freitagnachmittag von „guten Botschaften für Europa“ und davon, dass alle Beschlüsse, die sich die Runde vorgenommen habe, ohne jegliche Änderungen gefasst worden seien. Ein seltenes Ereignis, denn der Vorentwurf für die „Schlussfolgerungen“ bildet die Debatten auf dem Gipfel selbst naturgemäß noch nicht ab. Letztlich haben die Gipfelteilnehmer eine dritte Option gewählt: Die Arbeit müssen nun erst einmal andere machen.

Und so fasst denn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen denTeil des Gipfels, der sich über viele Stunden um die Wettbewerbsfähigkeit Europas dreht, in das Bild, wonach es zwar Entwarnung gebe für einen Wettbewerb mit den USA um amerikanische Subventionen für den klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft, dass aber „Europa seine Hausaufgaben machen muss“. Jedenfalls haben die Staats- und Regierungschefs die Vorschläge der Kommission zum Umbau der Industrie Richtung „netto Null“ (Emissionen) und sicheren Umgang mit seltenen Rohstoffen im Grundsatz nicht nur unterstützt, sondern auch eine schnelle Verwirklichung angemahnt. Für diese Hausaufgaben nimmt von der Leyen nun das Parlament und die Fachminister in die Pflicht. Auch das neue Konzept für den europäischen Strommarkt sollen sie noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen.

Die Situation von Banken und Finanzen in Europa war für weitere Stunden in den Mittelpunkt der Gipfel-Gespräche gerückt, nachdem das Straucheln der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse die Frage nach einer neuen Banken-Krise hatte aufkommen lassen - aktuell zusätzlich befördert durch den Kurseinbruch für die Deutsche Bank. Scholz beruhigt umgehend: Die Deutsche Bank habe ihr Geschäftsmodell „grundlegend modernisiert“, sich neu organisiert und sei eine „profitable Bank“. Es gebe somit „keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen“.

Kurz darauf zieht auch der französische Präsident Emmanuel Macron seine Gipfel-Bilanz vor der Presse. Die Eurozone sei die Region, in der die Banken „am solidesten“ aufgestellt seien, unterstreicht Macron. Sowohl er als auch Scholz bestätigen damit, was nach Teilnehmer-Angaben die zum Finanzteil des Gipfels eingeladene Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, als zentrale Einschätzung hinterlassen hat: „Der Bankensektor im Euroraum ist widerstandsfähig, er verfügt über eine solide Deckung bei Kapital- und Liquidität.“ Belgiens Regierungschef Alexander de Croo berichtet, Lagarde habe Vertrauen in den Markt und in die Stabilität der Finanzsysteme.

Was die Hausaufgaben nach diesem Gipfel anbelangt, wird jedoch auch von der Kommission noch so einiges erwartet. So setzt Scholz darauf, nun zügig weitere Handelsabkommen wie das zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) hinzubekommen. Scholz lenkt die Aufmerksamkeit auf die Wertschöpfung, die zu einem größeren Anteil in den rohstoffreichen Ländern bleiben müsse. Schon aus ökologischen Gründen sei es fragwürdig, die weitere Verarbeitung in anderen Ländern vorzunehmen, es müsse zudem darum gehen, den Herkunftsländern selbst eigene Entwicklungsperspektiven zu geben.

Wenn in Deutschland in wenigen Wochen das Aus für die letzten drei Kernkraftwerke kommt, der französische Präsident zu diesem Zeitpunkt auf dem EU-Gipfel jedoch für mehr Rückhalt seiner Atomenergie kämpft - was macht das dann mit dem deutsch-französischen Verhältnis? Macron und Scholz haben den Freitag mit einem Treffen begonnen. Sie hätten „sehr fröhlich und freundlich miteinander gefrühstückt“, versichert der Kanzler. Es sei zudem nur die „Fortsetzung eines sehr guten und freundschaftlichen Gesprächs“ gewesen. Was auch immer über deutsch-französische Verstimmungen geschrieben werde, habe mit dem, was dann tatsächlich erörtert werde, nichts zu tun.

Ob dann also auch Scholz hinter Macrons Werben steht, die Dekarbonisierung mit Hilfe der Atomkraft aufzuwerten? „Erneuerbare Energien werden nicht ausreichen, und Atomkraft wird notwendigerweise Teil unserer Antworten“, unterstreicht Macron, der die einschlägigen, in Richtung Vorfahrt für Erneuerbare, ausgerichteten EU-Richtlinien um die Kernkraft erweitern will. Scholz verweist auf die Vereinbarung des letzten deutsch-französischen Ministerrates. Der hatte die Formulierung gefunden, der Atomkraft den von Frankreich geforderten Raum zu geben, ohne das Ausbauziel für die Erneuerbaren zu schmälern.

Am Schluss schließt Scholz den Bogen zum Auftakt des Gipfels, bei dem die Staats- und Regierungschefs sich hinter das von ihren Außen- und Verteidigungsministern beschlossene Projekt stellten, der Ukraine eine Million Artilleriegeschosse zu liefern. Scholz bekräftigt, Grundlage für einen fairen Frieden in der Ukraine sei der Truppenrückzug Russlands. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas drückt sich ähnlich aus: „Der Krieg endet, wenn Russland realisiert, dass er ein Fehler ist.“

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