EU feiert die Einigung auf wuchtiges Anti-Coronavirus-Programm Der Kompromiss

Brüssel · Die EU feiert die Einigung auf ein milliardenschweres Anti-Corona- Programm. Es sieht mehr Kredite und weniger Zuschüsse für pandemiegeschädigte Staaten vor als zunächst vorgeschlagen.

 Kanzlerin Merkel ist mit dem Ergebnis des EU-Gipfels zufrieden.

Kanzlerin Merkel ist mit dem Ergebnis des EU-Gipfels zufrieden.

Foto: dpa/John Thys

Um kurz vor sechs am Dienstagmorgen brach der Jubel aus. 90 Stunden Streit lag hinter den 27 Staats- und Regierungschefs. Doch nun, so beschrieben es Teilnehmer, führten sie sich auf wie eine fröhliche Schulklasse. „Was zählt“, sagte eine sichtlich übermüdete Kanzlerin Angela Merkel (CDU), „ist das Ergebnis“. Auch ohne gemeinsame Sprachregelung fanden eigentlich alle Beteiligten ähnliche Worte: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von „einem historischen Moment“. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron nannte diesen 21. Juli 2020 „einen historischen Tag für Europa“.

Die Gemeinschaft hatte das größte je beschlossene Programm ihrer Geschichte durchgebracht: 750 Milliarden Euro gegen die Schäden, die durch den wirtschaftlichen Stillstand in der Coronavirus-Krise entstanden waren, und weitere 1074 Milliarden Euro als Ausgabenrahmen für die sieben Jahre ab 2021. „Das ist die beste solidarische Abmachung mit einem weiterhin großen Volumen, das jedoch eine bessere Balance hat“, verteidigte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen die Korrekturen an dem Paket. Und aus dem so hart von der Pandemie getroffenen Süden der Gemeinschaft gab es lobende Worte: Er sei „zu 95 Prozent zufrieden“, betonte der spanische Premier Pedro Sanchez. Nahezu wörtlich äußerte sich sein italienischer Kollege Giuseppe Conte.

Ob alle wirklich gewonnen haben, muss sich nun herausstellen. Die jüngste Konjunkturprognose der Europäischen Kommission vom Anfang dieses Monats zeigte die Herausforderung: Die Wirtschaft bricht demnach in etlichen Mitgliedstaaten um über zehn Prozent ein. Selbst Deutschland wird mit einem Minus von über sechs Prozent hart getroffen. Der Aufbau-Fonds, der zu 390 Milliarden Euro aus Zuschüssen und 360 Milliarden aus Krediten besteht und für den die Europäische Union erstmals als Ganzes Geld am Finanzmarkt aufnehmen wird, soll als „wuchtige Antwort Europas“ (Merkel) helfen. Bei der Vergabe werden Projekte zur Klimaneutralität und dem Ausbau der Digitalisierung bevorzugt genehmigt werden, teilte die Europäische Kommission mit. Aber die EU weiß auch um die Last, die sie kommenden Generationen aufbürdet. 2027 soll die Rückzahlung beginnen und vermutlich bis nach 2050 dauern. Da darf keine neue Krise mehr kommen, die die Finanzierung durcheinanderbringen würde. Die Regie der Operation „Rettet Europa“ liegt nun in den Händen der wichtigsten Brüsseler Behörde, Ursula von der Leyens Kommission. Sie steuert ab sofort den Aufschwung, prüft die vorgeschlagenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten – und kann sie auch verwerfen. Als Orientierung gelten dabei die sogenannten „Empfehlungen zum Haushalt“, also die auf jeden Mitgliedstaat abgestimmten Ergebnisse der jährlichen Haushaltsprüfung, die die individuellen Risikofaktoren erhebt und entsprechende Ratschläge erteilt. Diese Macht hat schon in der Vergangenheit nicht immer zu Begeisterungsstürmen in den Hauptstädten geführt. Das wird künftig nicht anders, höchstens noch heftiger sein. Denn die Zuwendungen der EU für die einzelnen Mitgliedstaaten bestehen auch aus einem Kredit-Teil, den jedes Land zurückzahlen muss. So etwas vergrößert die Staatsverschuldung, macht somit das Einhalten der Schuldengrenzen etwas schwieriger und zwingt die Gutachter der Kommission zu noch drastischeren Urteilen.

Im Europäischen Parlament, das nun vermutlich Anfang September über die Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs entscheiden wird, brauen sich derweil Unmut und Widerstand zusammen. Den Parlamentariern missfallen nicht nur die Kürzungen bei wichtigen Programmen im Haushaltsrahmen, sondern auch die schwammigen Formulierungen zum Thema Rechtsstaatlichkeit. Quer durch die großen Fraktionen hatten die Abgeordneten von den Staatenlenkern ein striktes Verfahren gefordert, um Regierungen, die gegen die demokratischen Grundsätze verstoßen, mit dem Entzug von Subventionen bestrafen zu können. Doch im Abschlussdokument findet sich lediglich eine unscharfe Formulierung, die nun noch nachgebessert werden soll. Katarina Barley (SPD), die Vizepräsidentin des EU-Parlamentes und frühere Bundesjustizministerin, stellte jedenfalls fest: Der EU-Gipfel sei vor Polen und Ungarn „eingeknickt“. Sollte das Abgeordnetenhaus auf die Idee kommen, dies noch ändern zu wollen, könnte der Streit vom EU-Gipfel im Herbst weitergehen.

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