Es geht um Geld Opfer dringen auf Anerkennung

Dresden/Trier · Jahre nach Bekanntwerden des Skandals bei den Katholiken nimmt auch die evangelische Kirche Missbrauchsopfer in den Fokus.

Während der Skandal um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche schon 2010 ein Erdbeben auslöste, blieb es in der evangelischen Kirche noch jahrelang still. Erst im vergangenen Herbst schob die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine strukturierte Aufarbeitung an. 770 Opfer, vielfach Heimkinder, seien inzwischen ermittelt, teilte die EKD auf ihrer Jahrestagung am Dienstag in Dresden mit. Energisch werde sie die Aufklärung weiter vorantreiben, mit Experten und Geld. Obwohl die Dimension im Vergleich zu Tausenden Opfern in katholischen Einrichtungen eine andere ist, klagen Betroffene beider Kirchen gleichermaßen.

„Täter dürfen nicht länger im Verkündigungsdienst der Kirche stehen“, forderte Kerstin Claus als Sprecherin für evangelische Betroffene vor dem Kirchenparlament in Dresden. Lange habe die Kirche gezögert. Jetzt müsse aufgearbeitet werden, was und auch wer Missbrauch ermöglicht habe. Auch die, die Kollegen gedeckt hätten, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. „Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen im Mittelpunkt der Aufarbeitung stehen,“ sagte Claus

Genau dies wolle die EKD auch tun, sagte die für die Aufarbeitung zuständige Bischöfin Kirsten Fehrs in Dresden. Um die Beteiligung der Opfer an der Aufarbeitung auszubauen, werde die Kirche einen Betroffenenbeirat einrichten. Die für Prävention und Aufarbeitung für 2020 bereits eingeplanten Mittel von 1,3 Millionen Euro stocke die EKD um eine Million Euro auf, kündigte Fehrs an. Eine Richtlinie zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, die alle Landeskirchen übernehmen sollen, wurde bereits beschlossen und eine unabhängige Ansprechstelle im Sommer eingerichtet. Bislang 40 Betroffene wandten sich dahin.

Noch für Diskussionen sorgt in der evangelischen Kirche die Frage der Entschädigung von Missbrauchsopfern. Ein Entschädigen des Leids sei kaum möglich, die Kirche wolle bei der individuellen Aufarbeitung aber materiell helfen, signalisierte Fehrs. Anders als dies die katholische Kirche seit Jahren tut, wolle man keine festen Summen an Betroffene zahlen. Von der katholischen Kirche derzeit diskutierte Entschädigungen in sechsstelliger Höhe seien der falsche Weg. Opfervertreter Claus verlangte indes eine transparente Entschädigungsregelung. Die Kirche könne sich nicht freikaufen. Nötig sei ein lebenslanges Bemühen, den Opfern gerecht zu werden.

Bei den Katholiken für Wirbel sorgt unterdessen der Vorschlag des Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, des Trierer Bischofs Stephan Ackermann, die ins Auge gefassten deutlich höheren Entschädigungen von Opfern aus den Kirchensteuereinnahmen zu zahlen. „Wenn klerikale Täter selbst nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können, so kann es nicht Aufgabe der Kirchenmitglieder sein, über die allgemeinen Kirchensteuergelder für das Versagen der Kirchenleitungen einzustehen“, reagierte die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ am Dienstag auf Ackermanns Vorschlag vom Vortag.

Als symbolische Anerkennung erlittenen Leids zahlte die katholische Kirche Missbrauchsopfern seit längerem mindestens 5000 Euro, Betroffene fordern deutlich mehr. Im September schlug die Initiative „Eckiger Tisch“ vor, entweder pauschal 300 000 Euro pro Person zu zahlen oder gestaffelt zwischen 40 000 und 400 000 Euro – je nach Schwere des Leids. Die Bischofskonferenz hat sich dazu noch nicht verhalten. Die großen Summen einfach aus der Kirchensteuer zu zahlen, kritisierte „Wir sind Kirche“, sei auch unbedacht, weil dies die Zahl der Kirchenaustritte „noch weiter und zu Recht“ in die Höhe treiben würde.

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