Erster Koalitionsausschuss mit neuen SPD-Chefs im Kanzleramt Große Aufgaben für die Groko

Berlin · Rücktritte, Hängepartien, Machtworte: Die Koalition machte es sich im alten Jahr nicht leicht. Jetzt wollen Union und SPD zeigen, wie es weitergeht.

 Die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf dem Weg zum Kennenlerntreffen mit den Vorsitzenden der Unions-Parteien.

Die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf dem Weg zum Kennenlerntreffen mit den Vorsitzenden der Unions-Parteien.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der erste Koalitionsausschuss mit den beiden neuen SPD-Chefs im Kanzleramt kurz vor Weihnachten – ist es ein Neuanfang? Noch klingen die Worte von Saskia Esken nach ihrer Wahl auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember nach: „Wir sind Aufbruch, wir gehen in Richtung der neuen Zeit.“ Doch was heißt das – übersetzt in Regierungshandeln mit der Union? Gelingt es der Koalition nach den Turbulenzen und Zerreißproben des Jahres, sich 2020 noch einmal zu einem gemeinsamen Kurs aufzumachen? Oder bricht das Bündnis?

Die Aufgaben sind enorm. Siehe Europäische Union. Bis Ende Januar will der britische Premierminister Boris Johnson sein Land aus der EU führen. Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU. Rechtzeitig muss dafür das Arbeitsprogramm festgezurrt sein. Als erster Kontinent will Europa bis 2050 klimaneutral sein – mit Hilfe riesiger Investitionen. Muss Deutschland mehr beitragen?

Fast überschaubar erscheinen da die innenpolitischen Vorhaben. Beispiel Kohle: Bis spätestens 2038 soll Deutschland aus der klimaschädlichen Kohleverstromung aussteigen. So hat es eine Regierungskommission empfohlen. Das Gesetz von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wurde auf Anfang 2020 verschoben – bis wann, wo und unter welchen Bedingungen werden Kraftwerke stillgelegt?

Beispiel Rente: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will den Kompromiss zur Grundrente umsetzen. Im März soll die Rentenkommission Vorschläge für die künftige Altersvorsorge machen. Droht ein Grundsatzstreit über Steuermilliarden, Beiträge und das Rentenalter? Beispiel Pflege: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will im ersten Halbjahr 2020 Vorschläge zur künftigen Finanzierung der Pflege machen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Eigentlich genug, sollte man meinen. Was soll da der SPD-Spruch von der „neuen Zeit“? Die im Umfragekeller bei zwölf bis 16 Prozent verharrenden Genossen nehmen für sich in Anspruch, zu reagieren: Auf den Befund, dass Deutschland bei Schulen, Brücken, Straßen, Schienen und Internet eine marode oder unzureichende Infrastruktur hat. Ihr Rezept: Ein Investitionsprogramm von 450 Milliarden Euro binnen zehn Jahren. Und reagieren will die SPD auf die Spaltung zwischen Arm und Reich – etwa mit zwölf Euro Mindestlohn.

Doch geht da was in der Groko? Im neuen Jahr soll es weitere Verhandlungen zwischen Union und SPD im Koalitionsausschuss geben. Die SPD will laut Parteitagsbeschluss dann bewerten, „ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind“. Wann das sein soll, ist offen. „Ich glaube, dass wir klug gehandelt haben, mit unserem Antrag beim Parteitag keine Showdown-Situation für die Koalition herbeizureden“, sagt Esken.

CSU-Chef Markus Söder ging nach eigenen Worten am Donnerstagabend offen in das erste Treffen. Gleichwohl hat auch er Forderungen an die neue SPD-Spitze: „Aber ich erwarte das ernsthafte Bemühen aller Beteiligter, etwas für Deutschland voranzubringen. Denn der demokratische Boden in unserem Land vibriert“, sagte er kurz vor seinem Abflug nach Berlin. Das bloße Zurückziehen auf klassische Parteipositionen und alte Politikmuster tauge nur bedingt für die neuen Herausforderungen einer sich völlig verändernden Gesellschaft.

Es komme darauf an, so Söder, ob die Demokratie in Deutschland eine Perspektive habe, und zwar durch die Demokraten selbst. „Entscheidend ist nicht die Frage, ob man als Partei in einer Koalition mal dies und jenes vielleicht gerne anders hätte. Entscheidend ist die Frage, ob man wirklich mutwillig bereit wäre, eine stabil gewählte Regierung zu gefährden – aus taktischen Momenten, die am Ende nur auf das Konto von AfD und solchen Gruppen einzahlen.“

Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat mehrfach betont, dass es keine Neu- oder Nachverhandlungen am Koalitionsvertrag geben werde. Und auch für die CSU ist klar: keine Zugeständnisse an die SPD.

Aber auch die Union will etwas. CDU/CSU treibt die Sorge um, dass die Konjunktur einbricht – befeuert vom Brexit, transatlantischen Zerwürfnissen und Chinas Dominanz in vielen Bereichen. Viele in der Union sind überzeugt: Die Unternehmenssteuern müssen runter, als zu starr empfundene Regeln für die Wirtschaft müssen lockerer werden. Auch eine Komplettabschaffung des Soli ist bei der Union auf der Agenda.

Das gibt Raum. Für neue große Kompromisse von Schwarz und Rot, ein vorzeitiges Scheitern – oder für eine weitere Hängepartie. Doch davon – da sind sich die Spitzen aller drei Koalitionsparteien einig – haben die Bürger die Nase voll. Nachdem die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles sich im Juni mit den Worten „Machen Sie’s gut“ von der Bühne verabschiedete, dauerte es ein halbes Jahr bis zu einer neuen Spitze. Und Kramp-Karrenbauer war monatelang nach einigen Fettnäpfchen so unter Beschuss, dass sie Ende November auf dem CDU-Parteitag die Machtfrage stellte, um demonstrativ die Reihen hinter sich zu schließen. Vorerst jedenfalls.

Der einzige im Groko-Dreier, der derzeit nicht unter Druck ist, ist Söder. Nach der Wahl des bayerischen Ministerpräsidenten zum CSU-Chef im Januar kehrte in der Partei die Zuversicht zurück. Vielleicht – so meinen einige in der Union – wird nicht Kramp-Karrenbauer oder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ihr nächster Kanzlerkandidat – sondern Söder. Doch der will nicht. Zumindest jetzt nicht.

Regiert wurde das ganze Jahr über natürlich trotzdem – mit dem nun im Vermittlungsausschuss nachverhandelten Klimapaket legte die Koalition sogar ihr vielleicht wichtigstes Projekt vor. Doch stecken den Partnern schmerzliche Wahlverluste in den Knochen. Auch bei CDU/CSU sind die Umfragen mit 27 bis 29 Prozent alles andere als berauschend. Die AfD bleibt bei 13 bis 15 Prozent stabil – der Rutsch nach rechts mit den AfD-Sensationsergebnissen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind gerade mal ein paar Monate her. Ende Februar wählt dann Hamburg – in der roten Hochburg sind die Grünen in Umfragen bis auf wenige Punkte an die SPD herangerückt.

Im Bund stehen die Grünen bereits mit konstant über 20 Prozent in den Startlöchern – sie wollen unbedingt regieren. Kann der Druck von außen Union und SPD zusammenschweißen? SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans bleibt vage: „Für uns ist weder eine Koalition ein Selbstzweck, noch der Bruch einer Koalition.“ Die Kanzlerin hält von einem vorzeitigen Aus nichts. „Wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten, meine persönliche Meinung“, erklärte Angela Merkel Ende November im Bundestag. Doch AKK mag das anders sehen. Manche in der CDU meinen, sie setze auf ein rasches Ende des Bündnisses – so dass sie wohl recht unangefochten nach der Kanzlerschaft greifen kann. Unklar ist, ob die SPD dann noch zum Regieren gebraucht wird – oder die „neue Zeit“ anbricht. Dann in schwarz-grünen Farben.

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