Rassismus-Vorwurf Reichsbürger-Gruppe verboten

Berlin · Mit Razzien gehen die Behörden gegen den Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ vor.

 Polizisten durchsuchen bei Razzien in zehn Bundesländern (hier Berlin) die Wohnungen führender Mitglieder der „Reichsbürger“-Gruppe.

Polizisten durchsuchen bei Razzien in zehn Bundesländern (hier Berlin) die Wohnungen führender Mitglieder der „Reichsbürger“-Gruppe.

Foto: dpa/Carsten Koall

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat zum ersten Mal eine Reichsbürger-Gruppe bundesweit verboten. Polizisten durchsuchten am Donnerstagmorgen die Wohnungen 21 führender Mitglieder des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ und seiner Teilorganisation „Osnabrücker Landmark“ in zehn Bundesländern. Seehofer erklärte per Mitteilung, man habe es mit einer Vereinigung zu tun, „die rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet“.

Die Mitglieder des Vereins „bringen durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck“, hieß es aus dem Ministerium. In den vergangenen Jahren sei die Gruppierung unter anderem durch „verbal­aggressive Schreiben“ aufgefallen. Darin sei den Adressaten „Inhaftierung“ und „Sippenhaft“ angedroht worden. Das „Höchste Gericht“ der Gruppe drohte Regierungsmitgliedern mit Klagen wegen der „Zersetzung hoheitlicher Staatlichkeit“. Dass die Gruppe eigene Stempel und Zahlungsmittel gehabt haben soll, mag man skurril finden. Dass ein solches Treiben harmlos sei, solle dennoch niemand glauben, warnt FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Tatsächlich bereiteten sie durch „krude Theorien und seltsame Aufrufe“ den Boden für rechtsextreme Gewalt.

Sogenannte „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an und weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicherheitsbehörden rechnen aktuell 19 000 Menschen dieser Szene zu, darunter 950 Rechtsextremisten. Einige Gruppierungen berufen sich auf ein selbst definiertes „Naturrecht“, andere auf das historische Deutsche Reich. Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepublik sei in Wirklichkeit kein Staat, sondern ein Unternehmen. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen. Die Mitglieder der Szene gelten als waffenaffin. Nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden besaßen Ende 2019 rund 530 Reichsbürger legal eine Waffe.

Neben Vereinsverboten sei auch eine konsequente Entwaffnung von Extremisten wichtig, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). Die Grundlage dafür sei Ende 2019 mit der Regelabfrage beim Verfassungsschutz durch die Waffenbehörden geschaffen worden. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatten die Verfassungsschutzbehörden auch zu der jetzt verbotenen Gruppe umfangreiches Material gesammelt.

Schwerpunkt der Aktionen der Gruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ war zuletzt Berlin. So versuchte beispielsweise 2017 eine Handvoll Anhänger, das Rathaus im Bezirk Zehlendorf zu „übernehmen“. Sie verlangten die Herausgabe eines Schlüssels, bevor die Polizei schließlich die Aktion beendete.

Nach Angaben der Polizei setzten sich ihre Mitglieder zudem mit Vehemenz und Drohungen für eine vorzeitige Haftentlassung des wegen Volksverhetzung verurteilten todkranken Holocaust-Leugners Horst Mahler ein. Im vergangenen September wurden in drei Bundesländern bereits vier Durchsuchungsbeschlüsse gegen Mitglieder der Gruppe vollstreckt. Jetzt wurde nach dpa-Informationen in Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen durchsucht.

Heike W., das bekannteste Gesicht der Gruppe, rechnet sich selbst nicht der Reichsbürger-Szene zu. Sie verbreitet ihre Theorien unter anderem auf der Website der rund 140 Mitglieder zählenden Gruppe und auf Youtube. Sie beruft sich auf „die germanischen Erstbesiedlungsrechte“. Ihre Anhänger animiert sie, ihre Personalausweise zurückzugeben und sich „lebend zu erklären“. Die Gruppe hatte Drohbriefe an mehrere Politiker verschickt.

Der Deutsche Richterbund begrüßte das Verbot. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, es sei gut, dass Seehofer trotz der schwierigen Situation durch die Coronavirus-Ausbreitung jetzt diese Gruppe gestoppt habe. Die Sicherheitsbehörden hätten insgesamt nach den schrecklichen Attentaten der vergangenen Monate ihren Blick im Kampf gegen rechts geschärft – „das war längst überfällig“. Ende Januar war bereits die rechtsextreme Gruppe „Combat 18“ verboten worden.

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