Flüchtlingslage an der türkischen Grenze Die deutsche Politik und die Angst vor einer neuen Krise
Berlin · Die Lage an der griechisch-türkischen Grenze alarmiert die Parteien. Die einen fordern eine „europäische Lösung“, die anderen sehen schon das nächste 2015.
An der griechischen Grenze spielen sich Szenen ab, wie sie die Bundesregierung 2015 an der deutschen Grenze unbedingt vermeiden wollte: Sicherheitskräfte, die mit Blendgranaten und Tränengas gegen Menschen vorgehen, die in ihr Land gelangen wollen. Die Flüchtlinge haben sich in der Türkei auf den Weg gemacht, nachdem Präsident Erdogan verkündet hatte, die Grenze sei offen – was auch aus deutscher Sicht jedoch gar nicht der Fall ist.
Die Zeiten haben sich geändert. Zwar gibt es von Grünen, Linken und einigen Politikern der SPD die Forderung, bestimmte Gruppen von Flüchtlingen von den griechischen Inseln aufzunehmen. Eine so liberale Flüchtlingspolitik wie 2015 befürwortet jetzt aber fast niemand öffentlich – auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht. Die FDP warnt vor einer Grenzöffnung in Griechenland. Auch über mögliche Zurückweisungen an der deutschen Grenze als „letztes geeignetes Mittel“ wird seit Montag intern diskutiert.
Die Europäische Kommission müsse jetzt eine Führungsrolle übernehmen, fordert CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. Deutschland könne sich an einer europäischen Lösung beteiligen, es sei aber sehr wichtig, „dass die Bundesregierung erklärt, dass es diesmal keinen deutschen Alleingang geben wird“. Und „dass es notfalls an der deutschen Grenze Zurückweisungen geben wird – als Ultima Ratio“. Schließlich seien Staat und Gesellschaft immer noch damit beschäftigt, sich um die – vor allem politischen – Folgen der Ankunft von Hunderttausenden Asylbewerbern in den Jahren 2015 und 2016 zu kümmern.
Was ist Deutschland, was ist Europa bereit jetzt zu tun, um zu verhindern, „dass sich 2015 wiederholt“, wie es nun viele formulieren? Das bedeutet: Nicht noch einmal sollen mehr als eine Million Schutzsuchende innerhalb eines Jahres ins Land kommen. Das ist eine Botschaft an die eigene Bevölkerung. Aber auch an die Menschen an den Außengrenzen der EU, die deutlich anders ausfallen soll als bei der „Willkommenskultur“ 2015.
Ob im September 2015 Fehler gemacht wurden, darüber wird bis heute gestritten. Damalige Mitglieder der Bundesregierung würden das Thema gerne hinter sich lassen. Zumindest ein Versäumnis haben sie alle eingeräumt: dass man damals spät reagiert hat, als immer mehr Menschen Syrien verließen und Schlepper auch Menschen aus Regionen, in denen kein Konflikt herrscht, das Blaue vom Himmel versprachen.
Eine Parallele zu damals gibt es: Die Kanzlerin beklagt zwar die schwierige Situation der Menschen in Syrien und wirft Erdogan vor, er habe die Migranten an der Grenze in eine „Sackgasse“ geschickt. Aber eine klare Botschaft an die Flüchtlinge und Migranten, die jetzt versuchen, nach Griechenland zu gelangen, hat sie bisher nicht. Das war der Vorwurf, den man Merkel damals machte: dass sie irgendwann nicht öffentlich sagte: 2015 war eine Ausnahmesituation, die ist jetzt vorbei.
Die AfD, der die Auswirkungen der damaligen Migrationskrise den Weg in den Bundestag geebnet hat und die mehr Asylbewerber als Bedrohung empfindet, nutzt die aktuelle Eskalation an der türkischen Westgrenze wie 2015 zur Mobilisierung ihrer Anhänger. Fraktionschefin Alice Weidel warnt: „Es sieht ganz danach aus, dass sich die Situation von 2015 wiederholt.“ Sie fordert, die Grenzen zu sichern. Für syrische Flüchtlinge hat die Fraktion ohnehin eine vermeintliche Lösung parat: Die meisten Gebiete Syriens seien befriedet, nun sei es Zeit für Gespräche mit der dortigen Regierung, um eine Rückkehr vorzubereiten.