Interview Jürgen Bender „Ein Dauerthema sind Probleme im Umgangston“

Saarbrücken · Der Pflegebeauftragte des Saarlandes meint aber, dass sich hierzulande im Verhältnis zwischen Personal und Pflegebedürftigen vieles verbessert hat.

 Jürgen Bender, Pflegebeauftragter des Saarlandes.

Jürgen Bender, Pflegebeauftragter des Saarlandes.

Foto: Oliver Dietze

Seit 2013 ist Jürgen Bender der erste Pflegebeauftragte des Saarlands. Das Amt wurde auch als Reaktion auf den Pflegeskandal in einem Heim in Spiesen-Elversberg geschaffen. Am 30. August hat der Landtag die Amtszeit des früheren Präsidenten des Landesso­zialgericht um weitere vier Jahre verlängert. Für diese Zeit hat sich der 70-Jährige einiges vorgenommen.

Herr Bender, hat sich die Situation in der Pflege verbessert?

BENDER Ich habe mich inzwischen mit 540 Fällen befasst, überwiegend aus stationären Einrichtungen. Es gab dabei sehr wohl Fälle, bei denen die Heimaufsicht drastisch einschreiten musste. Ein Dauerthema waren und sind Probleme im Umgangston, also wie das Pflegepersonal mit Angehörigen und Pflegebedürftigen umgeht. Oft wird dies hervorgerufen durch Mängel in der Führungskompetenz. Wenn das Personal nicht den richtigen Ton findet, müsste das der Führung auffallen, und sie könnte die Leute schulen lassen. Da hat sich, soweit ich eingreifen konnte, vieles verbessert.

Von den Pflegekräften selbst kommen viele Beschwerden über eine überbordende Bürokratie, die zu wenig Zeit für die eigentliche Pflege lässt. Die Ombudsfrau der Bundesregierung hat im April 2014 einen Bericht vorgelegt mit dem Ergebnis, dass in der Altenpflege 25 Prozent an Dokumentation eingespart werden können. Genau dies wird jetzt im Saarland umgesetzt.

Die Probleme in der ambulanten Pflege werden nur in geringem Maße an mich herangetragen. Allerdings hat das schon dazu geführt, dass ich mich für eine Änderung des Heimgesetzes eingesetzt habe, damit die Heimaufsicht jetzt auch ambulante Dienste überprüfen kann. Dort gab es Vorfälle, bei denen ich Strafanzeige stellen musste: Dort ist Personal im Bereich der Behandlungspflege eingesetzt worden, das dafür nicht qualifiziert war.

Ihre Position ist ein Ehrenamt. Wie viele Stunden pro Woche sind Sie aktiv?

BENDER Ich habe die Stunden nie gezählt. Ich bin jeden Tag unterwegs, oft auch an Wochenenden. Im Monat fahre ich zirka 1000 Kilometer. Mittlerweile habe ich über hundert Leitz-Ordner angehäuft. Die Zahl der Anfragen liegt auf einem hohen Niveau und steigt eher an. Manche Anliegen lassen sich in einem Telefonat klären, bei anderen führe ich ein zwei- bis dreistündiges Gespräch mit den Angehörigen Diese Gespräche gehen einem schon nah. Anschließend mache ich mir im Heim selbst ein Bild von der Lage. In vielen Fällen folgt dann ein gemeinsames Gespräch mit verbindlichen Vereinbarungen. Nur wenige Fälle musste ich an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Inwiefern liegen die Defizite, die Ihnen gemeldet werden, an strukturellen Problemen wie dem Personalmangel?

BENDER Personalmangel gibt es ganz sicher, wenn es um die Krankenhauspflege geht. Die Krankenhäuser erkennen das Problem, dass ihre Patienten zunehmend sehr alt und oft auch dement sind. Aber das Personal ist weder von der Zahl noch von der Ausbildung her darauf gerichtet. Wenn eine Nachtschwester in einer Station zwei Patienten mit Weglauftendenz hat, kann sie sich aussuchen, wem sie hinterherläuft.

Gibt es denn auch Verbesserungen für die Pflegekräfte?

BENDER Im Saarland ist der Personalschlüssel in den Pflegeheimen um zehn Prozent erhöht worden, und der hiesige Personalschlüssel liegt bundesweit an der Spitze. Auch werden die Pflegenden besser bezahlt als in anderen Bundesländern. Der Hintergrund ist nicht irgendeine besondere Gnade, sondern das Zauberwort heißt Luxemburg. Wenn es Pflegenden hier nicht passt, können sie nach Luxemburg gehen. Aber deshalb sind unsere Heime auch teurer.

Welche Themen werden in Ihrer neuen Amtszeit eine Rolle spielen?

BENDER Ein Dauerthema ist für mich, wie Heime damit umgehen, wenn Sachen verschwinden. Ich sage nicht, gestohlen werden, es gehen ja auch so Sachen verloren. Ich bin dabei, mit einem großen Träger Richtlinien auszuarbeiten. Die Träger versuchen es in die Richtung zu treiben, dass die Bewohner in ihre Zimmer keine Wertsachen mitnehmen sollen. Aber wie ist es dann mit dem Ehering? Sollen sie den vorher ausziehen? Das geht doch nicht.

Weiterhin dränge ich darauf, dass die Heime ihre Pforten besetzen, damit die alten, oft verwirrten Leute nicht fortlaufen. Da gab es schon dramatische Fälle mit Todesfolge. Es wäre auch gut, damit nicht jeder reinkommt. Die Philosophie des offenen Hauses hat sich überlebt. Alle Zimmertüren stehen auf. Ich könnte den alten Leuten das bisschen, was sie haben, auch noch wegnehmen. Mir kann kein Heim sagen, eine besetzte Pforte sei wirtschaftlich nicht vertretbar. Andere können es ja auch. Da gibt es leise Erfolge: Einige Heime bauen bereits um.

Eine weitere Sache, bei der ich auf Umsetzung gedrängt habe, ist die Bildung von Ärztenetzen, die bei Notfällen in Altenheimen Bewohner und Personal kennen. Hier startet am 1. Oktober das Pilotprojekt „Saarphir“, in Zusammenarbeit mit den Pflegekassen, der Kassenärztichen Vereinigung und den Pflegeheimen vertreten durch die saarländische Pflegegesellschaft. Zunächst startet es in Saarbrücken, soll aber landesweit ausgedehnt werden, wenn der Versuch Früchte trägt.

Ich befasse mich auch mit der Frage, wie die acht Pflegestützpunkte im Saarland organisiert. Ich höre, dass sich ihre Arbeitsweise und Philosophie auseinander entwickelt. Dazu werde ich mich kritisch in meinem nächsten Zwei-Jahresbericht, der voraussichtlich noch diesen Monat erscheint, äußern.

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