Ein Besuch in Sachsen Geschichten aus dem Wohnzimmer der AfD
Görlitz · Im Landkreis Görlitz muss die Partei nicht mehr kämpfen. Ungehemmt hetzen Politiker hier gegen Ausländer, Grüne und Medien.
Dürrhennersdorf, äußerster Osten, 40 Autominuten von Görlitz entfernt. In der Schützenhalle winden sich blinkende Lichterketten an Holzsäulen wie Schlangen an einem Baum. Die Stühle sind grün, auf der Bühne leuchtet es zart rot, aber es ist eine andere Farbe, die den Abend dominiert: Blau. Uwe N. sitzt neben jungen, mittelalten und alten Männern und ein paar Frauen. Sie wollen hören, was die AfD ihnen kurz vor der Wahl zu sagen hat. Es ist Wahlkampf in Sachsen, aber in Dürrhennersdorf muss die AfD nicht mehr kämpfen. 45 Prozent hat sie in dem 900-Einwohner-Dorf bei der Europawahl geholt. „Muss ich hier überhaupt noch jemanden überzeugen?“, fragt Stephan Brandner. Niemand meldet sich, auch Uwe N. nicht. Dabei will er überzeugt werden.
Uwe N. hat die Welt gesehen. Er war im Iran, im Irak, in Nordkorea, in China, sagt er. Aber seine Welt ist hier, und sie ist, findet Uwe N., gar nicht so schlecht. Zwei Dörfer weiter gehört ihm ein Haus, er hat eine Familie, und als Vertriebsingenieur kommt er über die Runden. Die AfD, findet Uwe N., hat ein gutes Programm. Deswegen ist er hier.
Bei der Wahl am Sonntag könnte die AfD stärkste Partei werden. Und in den Wahlkreisen Görlitz I bis IV könnte sie alle Direktmandate gewinnen. Wenn Sachsen das Zuhause der AfD ist, dann ist der Landkreis Görlitz ihr Wohnzimmer. Man kann über Sachsen viele Geschichten erzählen. Über die unglaublich starke AfD. Über unglaublich starke Grüne. Über Leute, die sich abgehängt fühlen. Keine dieser Geschichten wäre komplett falsch. Aber richtig werden sie erst, wenn man sie alle kennt.
Daher erst mal nach Freiberg, 50 Minuten westlich von Dresden. Robert Habeck hält auf dem Schlossplatz ein Townhall-Meeting ab. Man könnte auch sagen, er antwortet auf Fragen. Habeck sagt, dass Berliner Politiker wie er sich zu lange nicht für den Osten interessiert hätten. Das tue ihm leid. Jetzt aber, wo zu seinen Veranstaltungen in Sachsen und Brandenburg so viele Leute kämen und freundlich diskutierten, wünsche er sich, dass Sachsen Ausgangspunkt für eine neue Bewegung wird. Man kann das Gefühl bekommen, dass die Freiheit Deutschlands weniger am Hindkusch verteidigt wird als in Freiberg, Sachsen.
Auf nach Reichenbach in der Oberlausitz, 15 Minuten westlich von Görlitz. Der Infostand der AfD warten vier Männer auf Wähler, aber es kommt bloß ein Reporter. Wenn sie erzählen sollen, mit welchen Sorgen die Bürger zu ihnen kommen, dann reden sie von ganz und gar erstaunlichen Dingen: vom Nahverkehr, vom Handyempfang, von der Braunkohle, von der Grenzkriminalität. Sebastian Wippel wollte in Görlitz erster Oberbürgermeister der AfD werden, hat aber in der Stichwahl verloren. Jetzt will der Polizist den Wahlkreis gewinnen – gegen den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Wippel klagt darüber, dass ostdeutsche Rentner weniger Geld bekämen als Flüchtlinge, was nicht stimmt, und darüber, dass AfD-Politiker bei offiziellen Anlässen nicht richtig begrüßt werden, was möglich ist. Er warnt davor, dass es in Sachsens Freibädern bald so zugehen könnte wie im Düsseldorfer Rheinbad, was schon wegen der unterschiedlichen Einwohnerzahlen schwierig wird. Nach einer knappen Stunde hat er jede Strophe des AfD-Liedes aufgesagt.
Es wird wahnsinnig viel geredet in diesem Wahlkampf, nur nicht miteinander. Zum Wahlforum des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Europa-Jugendherberge in Görlitz wurden die Direktkandidaten aller Parteien eingeladen – außer der Vertreter der AfD. Ein Moderator mahnt trotzdem, dass er vom Hausrecht Gebrauch machen werde, falls jemand pöbeln sollte. Die AfD sitzt zu dieser Zeit in der Schützenhalle in Dürrhennersdorf und pöbelt und hetzt, ohne dass jemand von seinem Hausrecht Gebrauch macht. In ihrem Wohnzimmer wird die AfD nicht gestört.
Franziska Schubert könnte sie mehr stören. Auch sie wollte Oberbürgermeisterin werden, zog aber schließlich zurück, um Sebastian Wippel zu verhindern. In ihrem Lieblingscafé, der Görlitzer Espressobar Kränzel, soll sie erklären, was geschieht, wenn die Wahl so ausgeht, wie vorhergesagt wird. Es antwortet ihr Lieblingskellner, der gerade vorbeiläuft. Er sagt: „Möge der Himmel uns beschützen.“ Schubert setzt da eher auf irdische Dinge – wie Robert Habeck: zuhören, erklären, ermutigen. Die Situation, sagt sie, ist angespannt. Es sei viel Druck im Kessel.
An diesem Druck ist der Abend in der Schützenhalle in Dürrhennersdorf nicht ganz unschuldig. Mario Kumpf (33) schimpft über den „Gender-Gaga“ und sagt: „Grüne sind so sinnlos wie Vogelfutter für Kuckucksuhren.“ Kumpf sagt auch: „Wir sind nicht die dummen Ossis, wie sie uns immer einreden wollen.“ Ein paar Leute klatschen.
Stephan Brandner, der aus Gera kommt und dem thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke überaus nahesteht, stellt sich gar nicht vor. Er belässt es bei dem Hinweis, dass er Beatrix von Storch, seiner Parteikollegin, sehr ähnlich sehe. Brandner erzählt, wie er von Renate Künast, die vor ihm den Rechtsausschuss geleitet hat, das Büro übernommen hat. Er habe es klinisch reinigen lassen, bis in die letzten Winkel.
Die Wurzeln der Grünen nennt Brandner: „Terroristen, Kinderschänder, Koksnasen, Klimahysteriker.“ Er bezeichnet die Partei als dumm und als gesellschaftspolitischen Versager und bezichtigt sie der Orgien. Er nennt die öffentlich-rechtlichen Sender „einen korrupten Haufen“ und den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer einen „Pumuckl“. Als er von Robert Habeck spricht, ruft einer: „die Sau.“ Und Brandner sagt: „Die Grünen verbreiten Angst und spalten die Gesellschaft.“ Brandner bittet am Ende seiner Ausführungen um Fragen. Uwe N. meldet sich nun doch noch – als Einziger. Wie die AfD zu Homosexualität stehe, will er wissen. Brandner entgegnet, dass das Wort „stehen“ in diesem Zusammenhang witzig sei. „Die AfD hat nichts gegen Homosexuelle“, sagt er. Nur in Schulbüchern.
Uwe N. wird schweren Herzens CDU wählen, sagt er. Die AfD sagt, dass die Grünen Angst verbreiten, aber es ist Uwe N., der jetzt Angst hat. Die Hetze, sagt er, habe ihn überrascht und sei unerträglich. Uwe N., 54, aus dem Landkreis Görlitz, sagt: „Schreiben Sie, es sind hier nicht alle so.“