Rekord bei europäischen Klimaschutz-Finanzierungen Der Mann, der die Milliarden hebelt

Brüssel · Wie bekommen die EU-Staaten ihre Wirtschaft wettbewerbsfähiger, die Industrie klimaschonend umgebaut und ein Gegenwicht zum US-Multimilliardenprojekt hin? Bei den Antworten rutscht die Europäische Investitionsbank unter Leitung eines Deutschen in eine Schlüsselrolle.

Der Präsident der Europäischen Investiionsbank, Werner Hoyer.

Der Präsident der Europäischen Investiionsbank, Werner Hoyer.

Foto: EIB

Ein Mann, viele Milliarden und eine Leidenschaft: Werner Hoyer liebt das Hebeln. Der 71-jährige frühere FDP-Außenexperte, langjährige Fraktionsvize und ehemalige Europa-Staatsminister ist seit 2012 Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB). Eher außerhalb des Rampenlichtes zu wirken, passt zu seinem Naturell. Und so würdigt er am Donnerstag in Brüssel bei der Vorlage seines Jahresberichtes auch weniger die Rekordsummen, die seine Bankengruppe unter dem Dach der EU-Mitgliedsländer in erneuerbare Energien, effizienteren Energieeinsatz, bessere Speicherung und Netze investierte, als vielmehr, was er mit den eingesetzten 72,5 Milliarden Euro voraussichtlich gehebelt bekommt: „Sie dürften Investitionen von 260 Milliarden Euro mobilisieren und bis 2026 etwa 950.000 neue Jobs schaffen“, stellt Hoyer zufrieden fest.

260 Milliarden Euro sind eine ziemlich gewichtige Sache in Brüssel in Tagen, in denen Kommission, Rat und Parlament händeringend danach suchen, was die EU den 430 Milliarden Dollar gegenüberstellen könnte, mit dem US-Präsident Joe Biden seine Wirtschaft mit Klimaschutztechnik nach vorne bringen und Arbeitskräfte schaffen will - nicht zuletzt mit dem Nebeneffekt, Betriebe mit Spitzentechnologie aus Europa in die USA zu ziehen. Hoyers 260 Milliarden für Europa haben mit dem Zweck des Biden-Projektes in den USA auch schon viel zu tun.

Bis 2025 hatte sich die EIB vorgenommen, den Anteil von Klimaschutz und ökologischer Nachhaltigkeit auf mindestens 50 Prozent der Finanzierungen zu steigern. Sie hat es bereits im abgelaufenen Jahr geschafft. 35,5 Milliarden oder 58 Prozent aller Finanzierungen waren „grün“. Über 17 Milliarden flossen allein in Projekte, die die EU unabhängig von fossilen Brennstoffen machen. Das Ziel bleibt, bis 2030 über eine Billion Euro in grüne Investitionen zu stecken; in den ersten beiden Jahren dieses Vorhabens wurden bereits 222 Milliarden geschafft.

Es könnte nun noch viel schneller gehen. Denn in den beiden Beschleunigungskonzepten von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel spielt die EIB eine wichtige Rolle, damit die Unternehmen in Europa ins Zeitalter der Netto-Null-Emissionen kommen. Noch liegen keine konkreten Zahlen auf dem Tisch außer der Absicht, aus schon vorhandenen Programmen zügig 350 Milliarden für diese Zwecke umzuwidmen. Die Erwartung geht jedoch darüber hinaus. Und da es große Skepsis gibt, einen mit einer dreistelligen Milliardensumme ausgestatteten „Souveränitätsfonds“ aus neuen EU-Schulden zu speisen, richten sich immer mehr Blicke auf Hoyers EIB.

„Die Bank der EU erfüllt ihren Part und finanziert europäische Investitionen, die uns zur Klimaneutralität bringen“, unterstreicht der Präsident in Brüssel. Wenn die USA das größte grüne Subventionsprogramm aller Zeiten starten, müsse auch Europa am Ball bleiben. Dabei achtet Hoyer jedoch auf die Sonderrolle der EIB. Sie setzt oft Zeichen, wo andere sich noch nicht so recht trauen. Wenn auf dem privaten Markt Kredite zu haben sind, hält sich die EIB in der Regel zurück. Sie handelt nach den Worten Hoyers nach der Devise, nicht nur zu fordern, dass Europa risikofreudiger werden müsse, um erfolgreicher zu sein - sondern es auch zu sein.

Gerade in Deutschland zeigte sich das beim Beginn der Pandemie. Da war die EIB das Risiko eingegangen, ein kleines Unternehmen mit einer dreistelligen Millionensumme auszustatten, um damit deren unkonventionelle Forschung zu unterstützen. Sie wollten neue Krebstherapien entwickeln, indem sie Genkopien mit Boten in befallene Zellen befördern lernen. Kaum einer kannte den mRNA-Fachbegriff. Doch als die Welt vor einem globalen Lockdown stand und die Pharma-Profis von der Vermutung ausgingen, einen Impfstoff gegen Covid-19 binnen sechs Jahren entwickeln zu können, meldete sich der kleine EIB-Risiko-Kunde mit dem Hinweis, vielleicht könne die mRNA-Technik auch binnen sechs Monaten schon einen Impfstoff liefern. Biontech wurde zum Hoffnungsträger. Und Hoyers EIB hatte mal wieder Milliarden gehebelt, dieses Mal nicht nur in Geld, sondern auch in Impfdosen und geschützten Menschen.

Auch beim Green Deal ist die EIB in Deutschland bei den von Vizepräsident Ambroise Fayolle verantworteten Geschäften ein Stück weiter. Hier betrug der Anteil der für Innovationen und klimafreundliche Projekte ausgegebenen Finanzierungen bereits 75 Prozent von insgesamt 6,61 Milliarden. „Wir sind stolz darauf, dem grünen Wandel im Jahr 2022 einen Schub gegeben zu haben“, betont Fayolle.

Und wieder gehört auch faszinierende neue Technik zu den geförderten Projekten: Exoskelette, deren Einsatz von künstlicher Intelligenz gesteuert werden. Das sind Stützen mit Minimotoren außerhalb des menschlichen Körpers, die lernen, wie sie etwa Bauarbeiter beim Heben schwerer Lasten unterstützen können. Eine Perspektive auch für pflegende Angehörige, die körperlich oft überfordert sind.

Vordringlich ist für die EIB jedoch die Ukraine-Hilfe. 1,7 Milliarden steckte sie hier im vergangenen Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in die notdürftige Instandsetzung bombardierter Infrastruktur. Sie sei entschlossen, diese Aktivität in der Ukraine noch zu verstärken, versichert Hoyer.

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