Vorbereitung für den kompletten Lieferstopp Drohender Gasmangel erhitzt die Gemüter
Berlin · Am kommenden Donnerstag endet die Wartung der Ostseepipeline Nord Stream 1. Doch in Deutschland geht kaum jemand davon aus, dass Russland danach wieder Gas in regulärer Menge liefert. Es wird hitzig debattiert, wer im Falle eines akuten Mangels besonders geschützt wird. Wegen der hohen Gaspreise wird auch über neue Entlastungen gestritten.
Momentan fließt kein Gas aus Russland nach Deutschland. Hintergrund sind die Wartungsarbeiten an der wichtigen Versorgungsleitung Nord Stream 1, die am kommenden Donnerstag abgeschlossen sein sollen.
Was droht nach dem 21. Juli?
Die große Befürchtung ist, dass dauerhaft kein Gas mehr durch die Ostseepipeline fließen wird. Für Deutschland und andere europäische Länder hätte das drastische Konsequenzen. Auf deutschen Druck hin hat Kanada inzwischen eine wichtige Gasturbine geliefert, die die technische Funktionsfähigkeit von Nord Stream 1 sicherstellen soll. Doch in Russland wird bezweifelt, dass die Turbine bis Donnerstag eingebaut sein wird. Der russische Staatskonzern Gazprom lässt die Zukunft der Lieferungen im Vagen.
Welche regionalen Unterschiede gibt es?
Sollte Russland die Lieferungen nicht wieder voll aufnehmen, könnte es zunächst in bestimmten Bundesländern eine Notlage geben, fürchtet die Bundesregierung. Besonders viel Gas wird in den Industriezentren im Westen und Südwesten verbraucht, vor allem in der Chemie-, Glas- und Stahlindustrie. Ein Problem hat Bayern: Die im oberpfälzischen Waidhaus ankommende Megal-Pipeline liefert nichts mehr, aktuell sind dort ebenfalls Wartungen. Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden sowie Flüssiggas-Lieferungen über die Nordsee kommen als erstes im Westen an. „Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden“, teilte die Netzagentur am Montag mit. Der Speicherstand in Deutschland liegt aktuell bei 64,6 Prozent.
Wie würde Gas im Fall einer Mangellage priorisiert werden?
Der Notfallplan Gas sieht vor, dass geschützte Verbrauchergruppen bei einem akuten Mangel weiter versorgt werden. Dazu zählen private Haushalte, Krankenhäuser, Altersheime und Gaskraftwerke, die für die Wärmeversorgung der Haushalte wichtig sind. Die Industrie würde die Gasknappheit also früher zu spüren bekommen. Dagegen wird aufbegehrt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versicherte am Wochenende jedoch: „Natürlich sind private Haushalte und kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeeinrichtungen besonders geschützt.“
Wie entwickeln sich die Preise?
„Die Großhandelspreise sind in Folge der Lieferreduzierung spürbar gestiegen und haben sich zuletzt auf höherem Niveau eingependelt“, erklärte die Bundesnetzagentur am Montag. Doch das ist noch nicht das Ende: „Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen.“ Seit Jahresanfang hat sich der Großhandelspreis für Gas mehr als verdoppelt. Der Kieler Ökonomie-Professor Alexander Sandkamp mahnt: „Grundsätzlich ist es wichtig, die gestiegenen Gaspreise so zügig wie möglich an die Gas-Kunden weiterzuleiten, um so einen Anreiz zum Energiesparen zu setzen.“ Doch er fordert einen progressiven Gas-Tarif: „Jeder Haushalt erhält ein bestimmtes Kontingent an Gas, welches zu einem vergünstigten Tarif bezogen werden kann. Ist dieses Kontingent erschöpft, so kann zusätzliches Gas nur zum höheren Marktpreis bezogen werden.“
Welche weiteren Forderungen gibt es?
Industriepräsident Siegfried Russwurm fordert, die Priorisierungs-Regeln für einen drohenden langfristigen Gasmangel anzupassen. „Für die harte neue Energie-Realität muss die Politik in Berlin und Brüssel eine neue Regelung schaffen. Diese hat alle Teile der Gesellschaft entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in die Pflicht zu nehmen“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. In der SPD hält an der Priorisierung der geschützten Kunden fest. „Das ist Ausdruck von Daseinsvorsorge“, sagte die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nina Scheer, unserer Redaktion. Zugleich aber sei Energiesparen das Gebot der Stunde. „Dies schützt auch Arbeitsplätze“, so Scheer.
Wie geht es weiter mit den Entlastungen?
Ampel-Politiker haben bereits neue Entlastungen in Aussicht gestellt. Es gibt verschiedenste Forderungen, aber noch keine Entscheidung. SPD-Energiepolitikerin Scheer setzt auf einen Energiesparbonus, mit dem jede Einsparung zusätzlich belohnt werden soll. „Auf diesem Weg kann Entlastung und Einsparleistung im Vergleich zum Vorjahr miteinander verbunden werden“, sagte Scheer. Der CDU-Vizevorsitzende Andreas Jung fordert, Menschen mit geringem Einkommen besser zu unterstützen. „Mehr Menschen müssen mehr bekommen als beim Heizkostenzuschuss der Ampel. Er ist zu gering und könnte etwa verdoppelt werden“, sagte CDU-Energiepolitiker unserer Redaktion.