„Die Stimmung gegenüber Deutschland ist gekippt“

Berlin · Eine deutsche Parlamentarier-Gruppe besucht gegenwärtig Spanien und Zypern, um sich ein Bild über die dortige Krisensituation zu machen. Zu ihr gehört auch der Finanzexperte der Grünen, Gerhard Schick. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach mit ihm gestern telefonisch über seine Eindrücke:

Herr Schick, Deutschlang gilt wegen seiner Sparvorgaben als Buhmann bei den Südeuropäern. Haben Sie das auch gespürt?
Stefan Vetter: In Spanien merkt man durchaus, dass die Stimmung gegenüber uns Deutschen gekippt ist. Die Menschen nehmen wahr, dass über ihre Wirtschaftspolitik in Brüssel oder Berlin entschieden wird, aber man als spanischer Wähler keinen Einfluss auf diese Troika oder die deutsche Regierung hat. Das ist demokratisch ja auch ein Riesenproblem.

Und wie ist Lage in Zypern?
Stefan Vetter: In Zypern, wo wir uns gerade befinden, ist die Stimmungslage ähnlich. Viele haben hier das Gefühl, ungerecht und anders als andere Krisenländer behandelt zu werden. Allerdings wird manches auch unnötig aufgeheizt.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Stefan Vetter: Manche Äußerung aus Deutschland, auch in Zusammenhang mit unserem Besuch, wurde verzerrt wiedergegeben. Aber ich verstehe auch den Unmut der Menschen. Durch das chaotische Krisenmanagement in Zypern kommen die Leute nur schwer an ihr Geld, um lebensnotwendige Dinge zu kaufen. Geschäfte schließen. Auf diese Weise kann man auch die gesündeste Wirtschaft kaputt machen. Viele Menschen haben einfach Angst vor der Zukunft, auch weil das soziale Netz für Beschäftigte der Privatwirtschaft nicht sehr gut ist.

Aber die Wirtschaft in Spanien und Zypern war vor den Rettungsmaßnahmen alles andere als gesund. Wie steht es denn um die Reformbereitschaft dieser Länder?
Stefan Vetter: Richtig. Die Immobilienblase in Spanien musste irgendwann platzen und die starke Aufblähung des Finanzsektors in Zypern konnte ebenfalls nicht gut gehen. Deshalb verstehen auch viele Leute, dass Fehler gemacht wurden und Reformen notwendig sind. Allerdings wurden auch von europäischer Seite große Fehler gemacht. So hat zum Beispiel die Europäische Zentralbank viel zu lange eine große Laiki-Bank in Zypern über Wasser gehalten, die eigentlich längst pleite war, und das Problem so noch verschärft. Jetzt braucht das Land dringend gezielte Hilfen beim Strukturwandel.

Zypern hat eine größere Milliardenlücke als von der EU bis eben noch gedacht. Entpuppt sich die Insel ähnlich wie Griechenland als Fass ohne Boden?
Stefan Vetter: Ich kann auch vor Ort nicht nachvollziehen, wie es zu dem enormen finanziellen Mehrbedarf von gut fünf Milliarden Euro gekommen ist. Und ich frage mich, was die Troika eigentlich macht. Da prüfen Experten von IWF, EZB und EU über Wochen das zypriotische Finanzsystem, und plötzlich ist alles anders. Schließlich geht es um fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung! Bis zur Abstimmung über das Zypern-Hilfspakt im Bundestag in der kommenden Woche muss das noch geklärt werden.

Werden die Grünen den Hilfen zustimmen?
Stefan Vetter: Ein Nein des Bundestages würde den Schaden durch das miserable Krisenmanagement wohl noch vergrößern. Ich sehe aber noch keine plausible Lösung, um den zusätzlichen Finanzbedarf Zyperns zu decken. Hier muss die Bundesregierung vor der Abstimmung noch sagen, wie das jetzt gehen soll. Schließlich ist durch den Mehrbedarf die Verhandlungsgrundlage völlig verändert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort