„Die Spielräume sind gering“

Saarbrücken · Konjunkturforscher Scheide mahnt Union und SPD zu Ausgabendisziplin Gute Zeiten für Koalitionsverhandlungen: Die Steuereinnahmen liegen weiter auf Rekordniveau, und demnächst werden sogar Haushaltsüberschüsse erwartet. Der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Joachim Scheide, warnt Union und SPD jedoch vor üppigen Geldausgaben. Dies sei mit der Schuldenbremse unvereinbar, erklärte er im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter:

Herr Scheide, warum sollte eine neue Bundesregierung die Spendierhosen besser im Schrank lassen?
Joachim Scheide: Es ist ganz normal, dass die Steuereinnahmen bei relativ guter Konjunktur sprudeln. Deshalb halte ich hier auch den Begriff Rekord für irreführend. Liegt es doch in der Natur der Sache, dass das Bruttoinlandsprodukt fast immer von Jahr zu Jahr steigt. Genauso wie übrigens auch die Preise. Da soll man sich auch nicht reich rechnen.

Sie sehen keine zusätzlichen Ausgabenspielräume?
Joachim Scheide: Die Spielräume sind auf jeden Fall geringer, als viele glauben. Deutschland hat sich aus gutem Grund eine Schuldenbremse verordnet. Und die bedeutet auch, dass man in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften muss, um sich in schlechten Zeiten Defizite leisten zu können, also mehr auszugeben als einzunehmen. Ansonsten hätte man im Schnitt keinen ausgeglichen Haushalt. Deshalb ist da Vorsicht geboten.

Die Union will in den Koalitionsverhandlungen offenbar von ihrer Maxime abrücken, die Schulden des Bundes ab 2015 zu tilgen. Ist das mit der Schuldenbremse vereinbar?
Joachim Scheide: Streng genommen ist bei der Schuldenbremse nicht von einem absoluten Schuldenrückgang die Rede. Aber sie impliziert den Abbau in guten Zeiten. Der Fehler in der Vergangenheit bestand doch darin, in konjunkturellen Hochphasen nicht an den Schuldenabbau gedacht zu haben. Deshalb wurde der Schuldenberg immer größer.

Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, die sich abzeichnenden Haushaltsüberschüsse in Infrastruktur und Bildung zu investieren, anstatt damit Schulen zu begleichen. Gibt Ihnen das nicht denken?
Joachim Scheide: Zweifellos haben wir ein großes Problem beim öffentlichen Kapitalstock. Er sinkt seit Jahren. Das ist eigentlich ein Skandal. Nur muss das Ganze eben auch finanziert werden. Wenn wir nicht mehr Schulden machen wollen, wie es die Schuldenbremse vorgibt, dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder Steuererhöhungen, oder Einsparungen an anderer Stelle. Da muss sich eine neue Regierung entscheiden.

Was würden Sie tun?
Joachim Scheide: Steuererhöhungen würden das Wachstum mindern und mittelfristig die Steuereinnahmen beeinträchtigen. Also muss man schon in den sauren Apfel beißen und bei anderen Ausgaben sparen. Es gibt Subventionen des Staates im Umfang von etwa 120 Milliarden Euro, die man teilweise abbauen könnte.

Aber resultiert die vielerorts marode Infrastruktur nicht gerade aus der Sparpolitik der letzten Jahre?
Joachim Scheide: Der Staat hat falsche Prioritäten gesetzt. Während die Sozialausgaben kräftig gestiegen sind, wurden die Investitionen deutlich zurück gefahren. Geht das so weiter, werden wir noch mehr kaputte Straßen und baufällige Schulen haben.

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