Landtagswahl Niedersachsen Die SPD kann doch noch gewinnen

Berlin · Im fünften Anlauf feiern die Sozialdemokraten unter Martin Schulz den ersten Erfolg: Der Sieg in Niedersachsen ist allerdings vor allem das Werk von Stephan Weil.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist in Niedersachsen eine große Aufholjagd gelungen: Im August lag seine SPD zwölf Prozentpunkte hinter der CDU, nun liegt sie vier Punkte vorne. Ein wichtiger Erfolg auch für Bundesparteichef Martin Schulz.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Der Jubel der Sozialdemokraten bei der Wahlparty im Landtag von Hannover ist ohrenbetäubend. Mehr als 37 Prozent weisen erste Prognosen für ihre Partei aus, weit mehr als nach den Umfragen zu erwarten gewesen wäre. Die SPD wird an diesem Sonntag klar stärkste Kraft in Niedersachsen. Aber die lautstarke Erleichterung der Genossen zeigt, dass es nicht allein darum geht: Die zuletzt von Selbstzweifeln gepeinigte und verunsicherte Partei sendet ein Lebenszeichen hinaus ins Land.

Seit Wochen schon legte die SPD in den Niedersachsen-Umfragen zu, nun lässt sie die CDU sogar deutlich hinter sich. Das prophezeite Kopf-an-Kopf-Rennen um die Position der stärksten Partei fällt aus, die Sozialdemokraten haben den Auftrag zur Regierungsbildung. Es ist ein Sieg für den oft als blass und langweilig gescholtenen SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil, der mit seiner schnörkellos-soliden Art indes punktete bei den Menschen zwischen Nordsee und Harz. Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren sind die Sozialdemokraten wieder stärkste politische Kraft in dem Bundesland. Damit ist der SPD nach einer Serie von Niederlagen in diesem Wahljahr ein lang ersehnter Triumph gelungen.

Nur Minuten nach Schließung der Wahllokale steht Weil im Landtag vor seinen minutenlang frenetisch klatschenden Anhängern, sichtlich zufrieden und für seine Verhältnisse fast schon emotional. Die vergangenen Wochen seien eine „Charakterprobe“ für die niedersächsische SPD gewesen, sagt er – und verweist auf die Aufholjagd bei den Zustimmungswerten. Niemand in der Partei werde die zurückliegenden Wochen je vergessen. „Es ist ein großer Abend für die niedersächsische SPD.“

Thematisch war der Wahlkampf geprägt von Debatten über Bildungspolitik, den Ausbau der Infrastruktur, die innere Sicherheit und den Umgang mit dem von den Folgen der Abgasaffäre gebeutelten Autobauer VW. Überlagert aber wurden diese Diskussionen immer wieder von heftigen atmosphärischen Verwerfungen zwischen den Parteien, der Ton zwischen CDU und SPD war rauh. Ausgezahlt hat sich die starke Personalisierung: Weil setzte auf Gespräche mit Bürgern, Kundgebungen mit Berliner Prominenz gab es nur wenige. Er überzeugte die Wähler als pragmatischer Kümmerer, als uneitler Landesvater – ein ziemlicher Kontrast zum teils polternden CDU-Herausforderer Bernd Althusmann.

Dass die Niedersachsen an diesem Sonntag nur drei Wochen nach der Bundestagswahl erneut an die Urnen gerufen wurden, lag an dem überraschenden Frontenwechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU. Das kostete die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition von Weil im August die Mehrheit im Landtag und führte dazu, dass die für Januar geplante Neuwahl vorgezogen wurde. Twestens Wechsel sorgte für viel böses Blut. Weil warf der CDU grobe Verstöße gegen „demokratische Spielregeln“ vor. Deren so hoffnungsvoll in den Wahlkampf gestarteter Spitzenkandidat Althusmann reagierte empört und sprach von „Verleumdungen“.

Am Sonntag aber lösen sich die von Althusmann und seinen Parteifreunden gehegten Hoffnungen auf einen fulminanten Wahlsieg um 18 Uhr schlagartig in Luft auf. Die CDU hat ihr schlechtestes Ergebnis seit fast 60 Jahren eingefahren. Die Wahl-Klatsche für die Union bei der Bundestagswahl, der Richtungsstreit, die Ungewissheit über die bevorstehenden Jamaika-Verhandlungen: Das alles dürfte einen großen Anteil am Absacken der CDU gehabt haben. Mehrfach hat Althusmann im Wahlkampf gesagt, dass er sich aus Berlin mehr Rückenwind gewünscht hätte.

Dazu kommen hausgemachte Probleme der niedersächsischen CDU. Althusmann war in den Jahren vor der Wahl ganz raus aus der Landespolitik: Der Ex-Kultusminister leitete das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Namibia. Dem Wiedereinsteiger ohne Abgeordneten-Mandat fehlte der Landtag als Arena. Und durch die vorgezogene Neuwahl blieben ihm am Ende drei Wochen für seine Kampagne. Das war zu wenig.

Einem sichtlich zerknirschten Althusmann bleibt an diesem Abend vor seinen ebenfalls lautstark jubelnden Anhängern bei der CDU-Wahlparty im Landtag nichts anderes übrig als einzuräumen, das zentrale Wahlziel nicht erreicht zu haben. Ein Grund, „in Sack und Asche zu gehen“, sei dies aber nicht, sagt er mit Blick auf die Hochrechnungen, die in der Koalitionsfrage noch keine gesicherten Aussagen gestatten.

Denn am späten Abend sah es laut ARD und ZDF eher nicht nach einer Neuauflage von Rot-Grün aus. Dem Land steht womöglich eine schwierige Regierungsbildung bevor. Dabei könnte die CDU letztlich doch noch zum Zug kommen, etwa in einer großen Koalition oder in einem Jamaika-Bündnis. „Wir werden am Ende in Gespräche gehen“, sagt Althusmann selbstbewusst.