"Die SPD hat nicht geliefert"

Saarbrücken · Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat der SPD-Basis eine Ablehnung des Koalitionsertrages mit der Union nahe gelegt. Von den zentralen Wahlversprechen sei kaum etwas übrig geblieben. Woran es in dem Vertrag hakt und wie es die Linke mit einem möglichen rot-rot-grünen Bündnis hält, erklärte Kipping im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter:

Frau Kipping, Sie haben die SPD wegen des Koalitionsvertrages heftig kritisiert. Hat die Linke an einem immer noch möglichen Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten und Grünen kein Interesse mehr?
Katja Kipping: Jetzt sind wir erst einmal in einer Situation, in der sich die SPD mit der Union auf einen Koalitionsvertrag geeinigt hat und die Linke Oppositionsführerin ist. Es ist also unsere Aufgabe diesen Vertrag und damit auch die SPD zu kritisieren. Dieses Papier ist doch eine Bankrotterklärung, was die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung angeht.

Können Sie sich an einen Koalitionsvertrag erinnern, in dem ein Mindestlohn, die Aufstockung von Armutsrenten oder eine Mietpreisbremse festgeschrieben wurde? So viel linkes Gedankengut nimmt Ihrer Partei doch glatt den Wind aus den Segeln.
Katja Kipping: Man sollte der schwarz-roten Lyrik nicht auf den Leim gehen und genau hinschauen. Nur ein Beispiel: Es gibt weiter die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen. Bei der Leiharbeit gilt erst nach neun Monaten gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die Hälfte aller Leiharbeiter kommt aber nur für drei Monate in einem Entleihbetrieb zum Einsatz. Diese Menschen profitieren also überhaupt nicht davon. Der Mindestlohn ist eine Regelung mit angezogener Handbremse. Er soll erst 2017 uneingeschränkt gelten, und wegen der Inflation sind 2017 8,50 Euro auch weniger wert als heute.

Würden Sie der SPD-Basis zu einer Ablehnung des Koalitionsvertrages raten?
Katja Kipping: Wenn die SPD-Basis zustimmt, dann kann sie hinterher nicht mehr sagen, dass dieser Koalitionsvertrag nur von ihrer Führung verantwortet wird. Dann ist sie mit im Boot. Von den zentralen Wahlkampfversprechen der SPD ist kaum etwas übrig geblieben. Die SPD hat nicht geliefert.

Die SPD hat sich auf ihrem jüngsten Parteitag offen für ein Linksbündnis gezeigt. Ist die Chance für Rot-Rot-Grün gestiegen?
Katja Kipping: Die SPD muss erst einmal selbst mit sich ins Reine kommen, ob sie eine Gerechtigkeitswende will. Bisher sehe ich das nicht. Dieser Parteitagbeschluss war wohl eher eine taktische Wendung, um die Parteilinken zu beruhigen und ihre eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der Union schmackhafter zu machen.

Und bei der Linken muss sich überhaupt nichts ändern? In der Außenpolitik zum Beispiel ist Ihre Partei doch völlig isoliert.
Katja Kipping: Finden Sie? Warum sollten wir unsere konsequente Friedenpolitik aufgeben? Die Bevölkerung ist mehrheitlich gegen Kriegseinsätze und für ein Verbot von Waffenexporten.

Linke und Grüne stellen gerade einmal 20 Prozent aller Sitze im Bundestag. Wie will diese Mini-Opposition Schwarz-Rot Paroli bieten?
Katja Kipping: Indem wir zum Beispiel nicht warten, bis diese Regierung zu Potte kommt, sondern schon heute konkrete Gesetzentwürfe einbringen, wie etwa für einen sofortigen gesetzlichen Mindestlohn oder die Abschaffung von sachgrundsloser Befristung von Arbeitsverhältnissen.

Wird es eine rot-grüne Koalition in der Opposition geben?
Katja Kipping: Wenn Grüne und Linke zum Beispiel das System der Hartz-IV-Sanktionen kritisieren, kann man auch gemeinsame Aktionen dazu starten. Allerdings sind die Grünen gerade in der Findungsphase. Und die Tatsache, dass sie sich in Hessen auf eine besonders konservative CDU einlassen, spricht eher dafür, dass die Grünen Teil des informellen Regierungsblocks werden.

Gehen Sie davon aus, dass Schwarz-Rot im Bund vier Jahre lang hält?
Katja Kipping: Diese Koalition ist eine Regierung des Stillstandes. Ob dieser Stillstand zwei oder vier Jahre dauert, ist offen.

Die Namen der Minister sind noch schwarz-rotes Betriebsgeheimnis. Stört Sie das?
Katja Kipping: Ich hätte mir gewünscht, dass Parteichef Gabriel weniger Energie in solche taktischen Spielchen investiert, sondern mehr Leidenschaft entwickelt, zentrale Versprechen seiner Partei durchzusetzen.

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