Vor dem SPD-Parteitag Die Rolle rückwärts der Groko-Kritiker

Berlin · Die SPD-Spitze will es offenbar doch nicht auf ein rasches Ende der großen Koalition ankommen lassen. Selbst der Juso-Chef mahnt zur Mäßigung.

   Illustration: Robby Lorenz

Illustration: Robby Lorenz

Foto: Lorenz, Robby

Sogar der größte Groko-Kritiker in der SPD mahnt plötzlich zur Mäßigung: Prompt wurde Juso-Chef Kevin Kühnert am Mittwoch auf Twitter als „Umfaller“ verhöhnt. Stein des Anstoßes war dieser Satz aus einem aktuellen Interview, der wenig zu seiner früheren Raus-aus-der-Groko-Rhetorik passte: „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung. Auch das sollten die SPD-Delegierten bei ihrer Entscheidung berücksichtigen“. Ebenfalls auf Twitter versuchte Kühnert daraufhin, dem Eindruck einer Rolle rückwärts zu begegnen: Er habe aber „auch keine Angst, mit der SPD in den nächsten drei Monaten, in einen Bundestagswahlkampf zu ziehen“, betonte der Juso-Chef.

Geht es nach dem vorläufigen Drehbuch für den am Freitag beginnenden SPD-Parteitag in Berlin, dann ist dieses Szenario unbegründet. Ein Arbeitsentwurf für den Leit­antrag, der unserer Zeitung vorliegt, enthält weder harte Bedingungen für ein Festhalten am Regierungsbündnis noch einen Zeitrahmen, in dem Nachverhandlungen mit der Union über Wunschthemen zum Abschluss gebracht werden sollen. An der Ausarbeitung des zwölfseitigen Papiers waren auch die designierten Vorsitzenden und Groko-Kritiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans beteiligt. Stellenweise sind darin Passagen aus dem „Fortschrittsprogramm“ enthalten, das die beiden für ihren Wahlkampf um die Führung erarbeitet hatten. Ihre detaillierten Forderungen kommen in dem Leitantragsentwurf jedoch sehr weichgespült daher.

So wird zwar ein höherer Mindestlohn geltend gemacht, aber die konkrete Größenordnung von zwölf Euro, wie es Esken und Walter-Borjans ursprünglich wollten, taucht nicht mehr auf. Zwar bleibt es beim Verlangen nach höheren Investitionen. Aber die ursprünglich konkret bezifferten „bis zu 500 Milliarden Euro“ für die kommenden zehn Jahre fehlen. Stetige Investitionen, so heißt es weiter, dürften „nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern“. Dass Olaf Scholz als Amtsnachfolger des CDU-Finanzministers ebenfalls für Etats ohne neue Schulden plädiert, findet keine Erwähnung. Ganz offenkundig soll der Wahlverlierer nicht verprellt werden. Und schließlich sucht man auch den ursprünglich von Esken und Walter-Borjans geforderten Einstiegspreis von 40 Euro für die Bepreisung der klimaschädlichen Treibausgase vergeblich im Text. Übrig geblieben ist nur das allgemeine Verlangen nach einem „wirksamen CO2-Preis“.

Von „Verhandlungen“ mit der Union ist ebenfalls keine Rede. Stattdessen sollen die Parteitagsdelegierten ihre Führung beauftragen, „Gespräche über die neuen Vorhaben“ zu führen. Anhand dieser Gespräche soll der Parteivorstand „bewerten, ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind“.

Ob der Parteitag dieser Linie folgt, ist unklar. Die endgültige Fassung des Leitantrags will der Vorstand am Donnerstag verabschieden. Im linken Parteiflügel deutete sich bereits Widerstand gegen den moderaten Kurs an: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „man habe sich mit scharfen Worten gegen die große Koalition in Ämter wählen lassen und könne sich dann an nichts mehr erinnern“, mahnte der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. Als einer der unterlegenen Kandidaten im Rennen um den SPD-Vorsitz hatte er sich deutlich zum Groko-Ausstieg bekannt. Dagegen stellte Kühnert gestern auch klar, Neuverhandlungen über den Koalitionsvertrag nie gefordert zu haben. Der Juso-Chef will auf dem Parteitag für einen Stellvertreterposten kandidieren.

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