Länderkoalitionen Die Linksabbieger

Analyse | Berlin · Analyse Im Wahlkampf ließ Olaf Scholz die Frage offen, ob er auch ein Linksbündnis machen würde. Er musste sie wegen schwächelnder Linken nach der Wahl nicht beantworten. Das taten für ihn zwei Landes-Wahlsiegerinnen. Was die Linksbündnisse in Berlin und Schwerin für Bürger und Bund bedeuten.

 Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) auf dem Weg zu einem gemeinsamen Statement zu den laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin.

Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) auf dem Weg zu einem gemeinsamen Statement zu den laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin.

Foto: dpa/Annette Riedl

Den Linken schwante Schlimmes, als sie am Wahlabend im Bund unter die Fünf-Prozent-Hürde fielen und sie auch bei den parallelen Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auf stark schrumpfende Balken blickten. Das schien das Aus für alle Regierungshoffnungen zu sein. In beiden Ländern reichte es für Ampelbündnisse aus SPD, Grünen und FDP. Die würden dann auch im Bund den Druck auf die FDP erhöhen. Manuela Schwesig regierte in Schwerin ohnehin schon mit der CDU.  Und in Berlin hatte die siegreiche SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey im Wahlkampf wiederholt klar gemacht, dass ihr die bisherige Linkskoalition ziemlich auf den Keks geht und sie lieber mit Union und FDP einen Neuanfang wagen wollte. Doch es kam anders. Rot-Rot marschiert.

  So nachdrücklich die beiden SPD-Politikerinnen auch bürgerlich geblinkt und Wähler aus der Mitte angesprochen hatten, so leicht fiel es ihnen, dann beherzt links abzubiegen. Vor allem in Berlin waren viele Wähler bestürzt. Sie hatten darauf gesetzt, dass die in vielen Bereichen untragbaren Zustände von einer neuen Regierung in die Hand genommen würden. Kaum etwas funktionierte unter Rot-Rot-Grün. Selbst die Wahlen selbst bekam Berlin nicht organisiert. Und was macht Giffey damit? Sie setzt auf ein Weiter-so.

Dabei hatten auch die Wahlanalysen eine klare Erwartungshaltung gezeigt. Mit der Arbeit des Senates waren schon ein Jahr vor der Wahl zwei Drittel der befragten Berliner unzufrieden. Auf den letzten Metern hatte das zwar abgenommen, aber die große Mehrheit wünschte sich weiterhin etwas Besseres. Als wichtigste Themen nannten die Wähler die Verkehrs- und die Wohnungspolitik. Und auf beiden Feldern hatte sich Giffey explizit von der Politik und den zentralen Aussagen bei Linken und Grünen abgesetzt.

Sie hatte damit der CDU das Wahlkampfleben schwer gemacht. Was Giffey da im Wahlkampf vertrete, sei „CDU pur“, meinte CDU-Fraktionschef Burkhard Dregger Anfang September. Und auch Spitzenkandidat Kai Wegner hatte den Eindruck, dass Giffey immer wieder das CDU-Wahlprogramm kopiere. Kaum spreche er von Neustart, lege Giffey ein Neustartprogramm auf. Und als Giffey ankündigte, künftig Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen einzuführen, konnte es die CDU ebenfalls kaum fassen. Das hatte sie immer gewollt, Rot-Rot-Grün stets abgelehnt.

Insofern waren sowohl CDU als auch FDP guter Dinge, als sie sich jeweils zwei Mal mit der SPD zu Sondierungen zusammensetzten. Nach Kürbis-Ingwer-Suppe berichtete Wegner von einem „sehr guten“ Gespräch und äußerte die „Hoffnung, dass Berlin eine bessere Regierung bekommt“. Es gebe eine „neue Verlässlichkeit“. Auch die FDP empfand die zwei Begegnungen als positiv; sie seien in „angenehmer Atmosphäre“ verlaufen. Als dann auch noch FDP und Grüne Sondierungen verabredeten, tauchte die Vermutung auf, das Land Berlin könnte wie der Bund auf eine Ampel zusteuern.

Das wäre Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner im Bund nur Recht gewesen. Haben sie es doch mit einer Sonder-Konstellation zu tun, die es auf Länderebene sonst nur in Rheinland-Pfalz gibt. Lediglich Hamburg bringt mit seiner rot-grünen Regierung noch eine Unterstützung für Rot-Grün-Gelb im Bundesrat ein. Alle anderen Stimmen werden entweder von der Union oder den Linken in den Landesregierungen neutralisiert. Bei Zustimmungsgesetzen sieht es also zappenduster für die Ampel aus. Sie braucht dafür 35 Ja-Stimmen in der Länderkammer, verfügt selbst nur über sieben. Problematisch wird es, wenn sich die Länder zu einer aktiven Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat formieren. Dann können sie auch alle anderen Gesetze mit einem Einspruch nicht nur blockieren, sondern verhindern. Denn um diesen zurückweisen zu können, bräuchten SPD, Grüne und FDP im Bundestag ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Und das ist aussichtslos.

Weitere Ampelbündnisse in den Ländern wären also hochwillkommen gewesen. Stattdessen gibt es nun vier Länder, in denen mit Hilfe der SPD die Linken regieren. „Fassungslos“ reagierte CDU-Vize Julia Klöckner darauf. Und auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zog einen Lehrsatz daraus: „Wenn die SPD kann, regiert sie mit Linksaußen.“ Das dürfte auch auf die FDP Eindruck machen, wenn sie an die Zukunftsfähigkeit der Ampel im Bund denkt.

In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die CDU das auch selbst zuzuschreiben. Nach dem Wahldesaster präsentierte sie sich führungslos. Der Senior Eckhard Rehberg übernahm kommissarisch und sah nach Sondierungen keine unüberbrückbaren Gegensätze.  Die Linke sei aber offenbar politisch und personell „deutlich billiger“ zu haben gewesen als die CDU, vermutete er. Linken-Fraktionschefin Simone Oldenburg beim Auftritt mit Schwesig: „Die Chemie stimmt.“ Sie wollen tausend Stellen in Schulen schaffen, die Schuldenbremse einhalten, Wählen ab 16 und ein Rufbussystem im ganzen Land. Und bei der Ostseepipeline hat Schwesig mit den Linken auch keine Probleme.

In Berlin hat Rot-Grün-Rot ebenfalls Pflöcke eingeschlagen: 20.000 neue Wohnungen jährlich, den Enteignungs-Volksentscheid in einer Kommission versenken, Video-Überwachung und Lehrer-Verbeamtung. Das klingt danach, dass nicht nur Grüne und Linke, sondern auch die SPD Giffey inhaltlich zugestanden hat, was sie ihr bei der Wahl der Koalitionspartner vorenthielt: Beinfreiheit.

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