Innere Sicherheit „Tod, Folter, Hinrichtung“

Berlin · Über Abschiebungen nach Afghanistan ist ein heftiger Streit entbrannt. Ist das moralisch und rechtlich vertretbar? SPD, Grüne und Linke sind zurückhaltend oder lehnen Abschiebungen ab, die Union macht Tempo

 Zurück in ein gefährliches Heimatland: Polizeibeamte begleiten einen Aghanen in ein Charterflugzeug, das ihn wieder in das Land am Hindukusch bringen soll

Zurück in ein gefährliches Heimatland: Polizeibeamte begleiten einen Aghanen in ein Charterflugzeug, das ihn wieder in das Land am Hindukusch bringen soll

Foto: dpa/Michael Kappeler

Horst Seehofer ist nur noch wenige Monate im Amt. Aber weiter fest entschlossen. Er will Menschen aus Deutschland abschieben – nach Afghanistan. So wie an seinem 69. Geburtstag, als exakt 69 Afghanen von Deutschland aus zurück in ihr Heimatland geflogen wurden. Seehofer verfolgte in der Frage von Abschiebungen schon immer eine harte Linie. Auch jetzt werde wieder mit der Regierung in Kabul über Abschiebungen verhandelt.

Am Dienstag dieser Wochen saßen sechs afghanische Männer am Flughafen München bereits in einer Maschine mit späterem Ziel Kabul. Nach einem Terroranschlag der Taliban im Regierungsviertel von Kabul, bei dem 13 Menschen starben, wurde der Abflug gestoppt. Bis auf weiteres.

In Deutschland ist Wahlkampf. Es geht um Hochwasser, Klima, Corona, Rente. Und seit einigen Tagen auch wieder um Abschiebungen nach Afghanistan. Die Parteien und ihre Spitzenkandidaten positionieren sich. Nach Seehofer sprach sich zuletzt auch Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet dafür aus, Straftäter weiter nach Afghanistan abzuschieben – trotz des Vormarsches der Taliban. Man beobachte die Lage „sehr genau“, versicherte Laschet. Das Aufkommen der Taliban könne „nicht ignoriert“ werden. Es brauche deshalb ein „sorgsames Vorgehen bei Rückführungen“. Allerdings gelte der Grundsatz „Null Toleranz gegenüber Kriminellen“. Deshalb: „Straftäter müssen weiter konsequent abgeschoben werden – auch nach Afghanistan“, hatte Laschet der „Bild“ gesagt.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes sind seit Januar 270 000 Afghaninnen und Afghanen von den Taliban (und einer Dürreperiode) aus ihren Häusern vertrieben worden. Kurz nachdem die letzten Nato-Truppen in diesem Sommer das Land verlassen hatten, gingen Bilder um die Welt, die Menschen zeigten, wie sie sich dicht an dicht vor Kabuler Passämtern drängten. Sie alle wollten nur eines: raus aus Afghanistan, in dem die radikal-islamischen Taliban gerade dabei sind, sich Region um Region zurückzuholen. Für die UN ist die Lage in Afghanistan klar: Es herrscht Krieg, jedenfalls in Teilen des Landes.

Grüne und Linke wie auch Teile der SPD halten es deshalb gegenwärtig für nicht vertretbar, Menschen nach Afghanistan zurückzufliegen und dort ihrem Schicksal und den Taliban zu überlassen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hatte unserer Redaktion gesagt, Seehofers Äußerungen seien „voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten“. Der SPD-Chef: „Auch Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe. Aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken.“ SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hingegen hatte als Hamburger Innensenator und Bürgermeister eine harte Linie bei Abschiebungen verfolgt, auch wenn andere SPD-geführten Bundesländern sich immer wieder bei Rückführungsaktionen des Bundesinnenministeriums verweigerten. In seinem Buch „Hoffnungsland“ schrieb Scholz: „Der humanitäre Impuls, für jeden abgelehnten Asylbewerber ein Bleiberecht zu fordern, schafft große Probleme – weil er die generelle Akzeptanz des Asylrechts gefährdet.“

Grundlage für Abschiebungen ist der jeweilige Asyl-Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Der aktuelle Lagebericht stellt zwar allgemein eine Gefährdung durch den Vormarsch der Taliban fest, aber keine konkrete Gefahr für Rückkehrer. Problem: Dieser Lagebericht datiert zwar von Mitte Juli, beschreibt aber die Lage aus dem Mai, als die Nato-Truppen noch im Land waren und die Taliban sich bewusst noch zurückhielten. Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck sagte, wo Menschen „Tod, Folter, Hinrichtung, das Abhacken von Gliedmaßen drohen“, dorthin könne nicht abgeschoben werden. Straftäter müssten dann „hier in Deutschland ihre gerechte Strafe absitzen“. Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour forderte Außenminister Heiko Maas dringend auf, dieser solle „einen aktuellen und realistischen Lagebericht vorlegen, der den massiven Vormarsch und die zahlreichen Kriegsverbrechen der Taliban der letzten Wochen abbildet“. Alle zehn Minuten sterbe derzeit ein Zivilist in Afghanistan bei Anschlägen. Nouripour sagte unserer Redaktion: „Das Fehlen dieses Berichts ist doch auch ein Grund“, warum Unions-Kanzlerkandidat Laschet wie auch die SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, Franziska Giffey, „ungeachtet der Lage vor Ort von weiteren Abschiebungen schwadronieren.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort