In Berlin herrscht breites Entsetzen über Trumps Vorgehen in der Wahlnacht. Sorge um die Demokratie in den Vereinigten Staaten

Berlin/Washington · In Berlin herrscht breites Entsetzen über Donald Trumps Vorgehen in der Wahlnacht. Die Angst, dass die USA in ein politisches Chaos geraten, ist groß.

 SPD-Chefin Saskia Esken bezeichnet Trumps Verhalten als „antidemokratisch“.   Foto: Fischer/dpa

SPD-Chefin Saskia Esken bezeichnet Trumps Verhalten als „antidemokratisch“. Foto: Fischer/dpa

Foto: dpa/Gregor Fischer

Es ist tief in den Deutschen drin, dass ein Fußballspiel erst endet, wenn der Schiedsrichter abpfeift und nicht, wenn eine Mannschaft glaubt, gewonnen zu haben. Die Empörung über Donald Trumps Versuch, sich den Wahlsieg noch vor Auszählung aller Stimmen zu kapern, einte gestern denn auch fast die gesamte deutsche Politik – und die Sorge vor politischem Chaos in den USA.

Selbst AfD-Chef Jörg Meuthen verteidigte den amtierenden Präsidenten an dieser Stelle nicht, sondern entschuldigte sein Vorgehen mit der „Aufregung des Wahlgeschehens“. Ansonsten aber zitterten die deutschen Rechtspopulisten als einzige mit dem Kandidaten der Republikaner. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagte, Trump habe „eine ganz feste Wählerbasis, die immer unterschätzt wurde“. In der Analyse lag sie damit gar nicht weit weg vom Parteisprecher der Grünen, Robert Habeck, der das allerdings negativ fand. „Der Trumpismus ist robuster, als wir gedacht haben, und der geht auch nicht weg“, sagte Habeck. Es scheine so, als habe die Corona-Pandemie „die Fliehkräfte, die vorher da waren, noch verstärkt“ und die politische Polarisierung in den USA noch weiter vorangetrieben.

SPD-Chefin Saskia Esken nannte Trumps Aufruf, die Briefwahlstimmen nicht weiter auszuzählen, rundherum „antidemokratisch“. Ähnlich der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer, der das Vorgehen „umstürzlerisch“ nannte. Der Chef-Außenpolitiker der CDU und Kandidat für den Parteivorsitz, Norbert Röttgen, sagte, er habe damit gerechnet, dass Trump „die Grundregeln der Demokratie“ missachte. Er warnte, dass Trump, sollte er am Ende gewinnen, im bilateralen Verhältnis zu Deutschland und Europa seine Neigungen, nämlich „Geltung und Vergeltung“, voll ausleben werde. „Es wäre eine Steigerung von allem, was wir bisher erlebt haben.“ Röttgen machte keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Joe Biden, der innen- wie außenpolitisch die aufgeheizte Gesprächsatmosphäre normalisieren werde.

Viele deutsche Spitzenpolitiker waren für Sondersendungen gebucht, zum Teil die ganze Nacht. So gab FDP-Chef Christian Lindner schon seit morgens um fünf aus seiner Wohnung Interviews und äußerte sich ebenfalls „bestürzt“ über Trumps Äußerungen. In vielen Stellungnahmen wurde tiefe Sorge über die Demokratie in den USA und die Spaltung der Gesellschaft deutlich. Und die Angst vor den internationalen Folgen. Es drohe die Gefahr, dass die Vereinigten Staaten auf der internationalen Ebene überhaupt nicht mehr handlungsfähig seien, sagte Lindner. Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer warnte angesichts des Auftretens von Trump vor „einer Verfassungskrise in den USA“ – dies sei „etwas, das uns insgesamt sehr beunruhigen muss“.

 CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warnt vor einer Verfassungskrise in den USA.   Foto: Kappeler/dpa

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warnt vor einer Verfassungskrise in den USA. Foto: Kappeler/dpa

Foto: dpa/Michael Kappeler

Anhaltende Auseinandersetzungen um das Wahlergebnis, das war das, was die deutsche Wirtschaft vor diesem Tag am meisten gefürchtet hatte. Industriepräsident Dieter Kempf sagte, jede Phase der Unsicherheit wäre „Gift“ für die Beziehungen. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) betonte, dass Politik und Wirtschaft ein hohes Interesse daran hätten, schnell Klarheit zu haben. Die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Qualität der Wahlentscheidung müsse aber zu jedem Zeitpunkt außer Zweifel stehen. Das klang schon fast nach: Egal wie das Spiel ausgeht. Hauptsache, es geht aus – regelkonform.

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