„Der Verkehrssektor kann sich vom Umweltschutz nicht einfach abkoppeln“

Berlin/Saarbrücken · Das Umweltbundesamt berät die Bundesregierung. Sein Präsident, der 49-jährige Jochen Flasbarth, hat sich für 2012 neben dem Klimaschutz zwei große Themen vorgenommen: den sparsamen Umgang mit Ressourcen und die Minderung des Lärms, besonders beim Verkehr. Mit Flasbarth sprach unser Korrespondent Werner Kolhoff.

Über welche umweltpolitischen Fortschritte in Deutschland sind Sie stolz?
Jochen Flasbarth: Als ich ein Kind im Ruhrgebiet war, konnte man die Luftbelastung dort sehen, schmecken und fühlen. Sie hat auch Angst gemacht. Das ist Vergangenheit. Wir haben Schwefeldioxid und Staubbelastung drastisch verringert, die Flüsse sind sauberer geworden. Das sind alles enorme Fortschritte, die übrigens zu keinem Zeitpunkt mit Rückschritten in der wirtschaftlichen Entwicklung erkauft wurden.

Und wo hakt es am meisten?
Jochen Flasbarth: Großen Handlungsbedarf sehe ich beim Ressourcenschutz. Auch mit Blick auf die Energiewende. Denn dafür brauchen wir Rohstoffe, die zum Teil sehr knapp sind, wie die seltenen Erden. Wir müssen zu einer Ressourcen schonenden Wirtschaftsweise kommen, und zwar nicht erst durch Recycling, sondern schon bei der Gestaltung und Herstellung von Produkten. Sorgen macht uns auch der Verkehrssektor. Er wächst beständig und tut sich in allen Bereichen schwer, umweltverträglicher zu werden, bei den Emissionen, dem Ressourcenverbrauch, aber auch beim Lärm.

Reichen immer mehr Lärmschutzwände?
Jochen Flasbarth: Passiver Lärmschutz kann immer nur die zweitbeste Lösung sein. Wir müssen Verkehrslärm insgesamt vermeiden. Das fängt schon bei der Verkehrsplanung an, geht über die Technik, etwa Straßenbeläge und Reifen, bis zu den Geschwindigkeiten, die gefahren werden. Eine zentrale Frage ist eben: Wie wollen wir wohnen? In einer Umgebung, wo wir möglichst schnell von A nach B kommen, oder in einer Umgebung, in der wir uns wohlfühlen.

Mit Geschwindigkeitsbegrenzungen werden Sie kein Glück haben.
Jochen Flasbarth: Das Thema hat in Deutschland emotionale Flughöhen, die kaum nachvollziehbar sind. Ein Tempolimit wäre nach wir vor eine sinnvolle Maßnahme. Wenn man das für nicht durchsetzbar hält, dann muss der Verkehrssektor an anderer Stelle umso mehr zum Umweltschutz beitragen. Es kann nicht sein, dass dieser Bereich sich von Fortschritten komplett abkoppelt.

Und die Bahn?
Jochen Flasbarth: Hier gibt es Regionen mit großen Lärmbelastungen, zum Beispiel entlang des Rheins. Nun wollen wir aus Umweltgründen sogar noch mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagern. Das bedeutet, dass die bestehenden Trassen noch mehr belastet und neue gebaut werden müssen. So etwas ist nur durchsetzbar und vernünftig, wenn der Schienenlärm deutlich verringert wird. Wir brauchen entsprechende Investitionen in Gleise, aber auch in den Waggonpark. Das sollte der Staat fördern. Mit 700 bis 800 Millionen Euro wäre das Problem ein gutes Stück weit gelöst. Ich glaube, das wäre eine gute Investition.

Wie bewerten Sie das Ergebnis der Klimaschutzkonferenz von Durban?
Jochen Flasbarth: Natürlich sind diejenigen, die sich mehr erwartet haben, jetzt enttäuscht. Es ist aber ein Durchbruch, dass dort erstmals ein umfassender Klimaschutz aller Länder auf den Weg gebracht wurde. Das gab es vorher nicht. Der Kyoto-Vertrag bezog sich von vornherein nur auf Länder mit 20 Prozent der Emissionen. Ein Nachteil ist es, dass für die Aushandlung des neuen Abkommens Zeit nötig ist, die uns inzwischen knapp wird.

Bis 2015 soll es ein Abkommen geben, das 2020 wirksam werden soll. Das klingt, als wenn ein starker Raucher heute sagt, er werde in vier Jahren beschließen, ob er Ende des Jahrzehnts aufhört. Nicht gerade willensstark.
Jochen Flasbarth: Kein Zweifel, jedes schnellere Handeln wäre besser. Die zentrale Aussage von Durban ist aber, dass 2015 ein Vertrag stehen wird, den ausnahmslos alle unterschreiben, dass alle mit im Boot sind, auch die USA und die großen Schwellenländer. Dann kann sich niemand mehr unter Hinweis auf andere Verweigerer entziehen. Länder, die grundsätzlich keine globalen gemeinsamen Klimaverpflichtungen unterzeichnen wollen, hätten jetzt die Möglichkeit gehabt, den Start eines solchen Prozesses zu verhindern. Das haben sie nicht getan, und das stimmt mich optimistisch. Wir brauchen aber bis zum Inkrafttreten des Weltklimavertrages zusätzliches Engagement. Technologiekooperationen und eine noch stärkere Unterstützung der Schwellen- und Entwicklungsländer gehören dazu. Wichtig ist auch, dass die EU mit gutem Beispiel voran geht: Das bisherige Eu-Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu senken ist weder ambitioniert, noch angemessen. 30 Prozent können von der EU ohne weiteres erreichte werden.

Viele in Deutschland werden sagen: Wenn alle bremsen, warum müssen wir immer den Vorreiter machen.
Jochen Flasbarth: Weil wir wissen, dass der Klimawandel stattfindet und wir uns die zukünftigen Lebensgrundlagen selber entziehen, wenn wir nicht mit anspruchsvollen Klimaschutzverpflichtungen frühzeitig den Weg in eine CO2-arme Entwicklung einschlagen. Dazu kommt, dass dieser Weg, ja auch kein Nachteil für uns ist, im Gegenteil: Unsere Wirtschaft, wir alle, profitieren davon.

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