Ermahnungen im Ampel-Zoff „Der öffentliche Streit in der Koalition muss aufhören“

Berlin · Die Nerven scheinen teils blank zu liegen in der Ampel-Koalition. Im Tauziehen um wichtige Gesetzesvorhaben gibt es keine klaren Fortschritte. Jetzt hat der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil an die Koalitionspartner appelliert, die öffentlichen gegenseitigen Vorwürfe zu beenden und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

  Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender der SPD. (Archiv)

Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender der SPD. (Archiv)

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

„Es geht darum, dass wir alle drei uns bewusst machen, was wir für eine Verantwortung tragen. Wir werden jetzt am Sonntag im Koalitionsausschuss zusammenkommen. Wir haben große Aufgaben zu lösen“, sagte Klingbeil am Rande eines Besuchs in Ankara unserer Redaktion. „Der öffentliche Streit der letzten Tage, das gegenseitige Vorhalten, das ist nicht das, was wir gerade brauchen, um das Land voranzubringen. Daran wird diese Koalition am Ende gemessen“, so der SPD-Chef.

Zuvor hatte Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstagabend in der ARD in einem bemerkenswerten Interview scharfe Kritik am Umgang in der Koalition geäußert. Klingbeil sagte dazu: „Wir haben uns große Ziele gesteckt mit dem Koalitionsvertrag. Die sind durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine auch noch dringlicher geworden, etwa in der Energieversorgung und dem Klimaschutz. Daran werden wir als Regierung gemessen, und dafür müssen wir in einen anderen Arbeitsmodus kommen. Das ist ein Appell an alle drei Parteien in der Regierung. Diese öffentlichen Auseinandersetzungen müssen jetzt aufhören.“ Für die SPD jedenfalls habe er diese „klare Erwartung“.

Habeck (Grüne) hatte sich unzufrieden über den Ist-Zustand der Ampel-Koalition geäußert. „Wir haben einen Auftrag, für die Menschen, für Deutschland was zu leisten und im Moment kommen wir dem nicht ausreichend genug nach“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Er hoffe, „dass wir jetzt in dieser Woche viele Knoten lösen und viele Blockaden überwinden können. Und dann wieder richtig eine gute Leistungsbilanz bekommen. Aber im Moment ist das sicherlich nicht der Fall.“

In den vergangenen Wochen hatte es zahlreiche Diskussionen zwischen SPD, Grünen und FDP gegeben, vom Autobahnausbau über ein Verbot neuer Öl- und Gasheizungen bis hin zum anstehenden Etat für 2024. Für Sonntagabend ist ein Koalitionsausschuss angesetzt, darauf richten sich nun alle Augen.

„Das Miteinander im Kabinett ist tadellos“, sagte Habeck. Zugleich kritisierte er, dass ein Gesetzentwurf zum Heizungsaustausch in einem frühen Stadium an die Presse durchgestochen worden sei. „Wir haben eine Frühkoordinierung in der Regierung, das heißt nur wenige Leute kriegen die Gesetzentwürfe, dass man drauf guckt und sagt: Hört mal zu, da haben wir noch Gesprächsbedarf, das könnt ihr nicht in die Ressortabstimmung geben.“ Da sei noch nie etwas durchgestochen worden. „Hier ist der Gesetzentwurf an die „Bild“-Zeitung - und ich muss also unterstellen - bewusst geleakt worden, um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden.“

Damit sind die Risse zwischen den Koalitionspartnern vor dem Treffen am Sonntagabend eher noch tiefer geworden. Die FDP reagierte mit Unverständnis auf Habecks Kritik. „Die Wahrnehmung von Herrn Habeck, die Grünen seien in der Ampelkoalition für den Fortschritt verantwortlich und die anderen Parteien würden verhindern, entspricht nicht der Realität“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem „Spiegel“. Die Grünen würden den Fortschritt an vielen Stellen blockieren. Als Beispiele nannte er den Ausbau der Infrastruktur oder einen technologieoffenen Ansatz in der Klimaschutzpolitik. „Auch unzumutbare Belastungen etwa durch ein kurzfristiges Verbot von Heizungen sind kein Fortschritt“, sagte Djir-Sarai.

Der Streit macht grundsätzliche Unterschiede vor allem zwischen Grünen und FDP deutlich: Die Grünen wollen kurzfristig mehr Klimaschutz mit mehr staatlicher Regulierung erreichen, die FDP setzt dagegen auf Technologieoffenheit und marktwirtschaftliche Mechanismen. Vergangene Woche hatte sie den Start des nationalen CO2-Emissionshandels im Verkehr und bei Gebäuden bereits 2024 vorgeschlagen. Dadurch würden die Energiepreise für Bürgerinnen und Bürger aber voraussichtlich rascher steigen, weshalb SPD und Grüne den Vorstoß ablehnten. Stattdessen fordern vor allem die Grünen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ein Klimaschutzsofortprogramm für den Verkehr. Zudem soll Wissing dem Verbrenner-Aus ab 2035 zustimmen und bei der Planungsbeschleunigung nicht mehr auf dem Ausbau neuer Autobahnen beharren. Diese Themen sollen im Mittelpunkt des Koalitionsausschusses stehen, von einer Lösung ist die Koalition aber noch weit entfernt.

Noch strittiger ist der Bundeshaushalt 2024, denn im Etat klafft - unabhängig von Wünschen der Minister für Mehrausgaben in Höhe von insgesamt 70 Milliarden - ein Finanzloch von 14 Milliarden Euro. Der Haushalt stehe nicht offiziell auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses, hieß es in Koalitionskreisen. Für eine Einigung brauche es noch mehrere Wochen. Erst Mitte Juni muss Finanzminister Christian Lindner (FDP) dem Kabinett den Gesetzentwurf zum Haushalt vorlegen.

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