Mehr als 1100 Infizierte Die Corona-Krise hat Deutschland im Griff

Berlin · Gegen die Ausbreitung des Virus sieht Gesundheitsminister Spahn jeden Bürger in der Pflicht. Die Debatte um Großveranstaltungen dauert an.

 Das neuartige Coronavirus in Deutschland

Das neuartige Coronavirus in Deutschland

Foto: SZ/Müller, Astrid

Eindringlich richtete sich Deutschlands oberster Krisenmanager an die Bürger. „Auf was können wir als Gesellschaft verzichten?“, fragte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Montag in Berlin bei einem seiner fast täglichen Auftritte. Jeder Einzelne solle sich das überlegen, fügte der CDU-Mann hinzu. Auf Fußballspiele vor Zehntausenden Zuschauern wohl eher – auf den Betrieb des Parlaments oder gar des Gesundheitswesens nicht. Spahn riet zu weniger Reisen und zu mehr Arbeit von zu Hause aus. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen sollten möglichst abgesagt werden, wiederholte er an einem Tag, der neue schlechte Nachrichten zur Corona-Lage in Deutschland brachte.

Die Zahl der Infizierten ist inzwischen deutlich über die Marke von 1000 Menschen gestiegen, in Nordrhein-Westfalen starben am Montag zwei Menschen an den Folgen der Infektion. Spahn machte klar, dass eine Ausbreitung des neuartigen Virus schon im Interesse der Funktionstüchtigkeit des Gesundheitssystems verlangsamt werden muss. Dazu gehört für den Minister auch die Absage von Massenveranstaltungen.

Gemeinsam mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, ging Spahn erneut vor die Presse, um über den Stand der Corona-Krise zu informieren. Er meldete mehr als 1100 Infizierte – noch am Montag vor einer Woche waren lediglich 150 Fälle registriert. Wieler sprach von einer „ernsten Lage“. Zwar würden 80 Prozent der Fälle „milde“ verlaufen. Jede fünfte Erkrankung sei jedoch „schwer“ und erfordere eine stationäre Behandlung. Wichtig sei es nun, dass solche Fälle „nicht auf einmal auftreten“, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Nach Angaben des Gesundheitsministers verfügen die Kliniken in Deutschland über etwa 28 000 Intensivbetten und damit im internationalen Vergleich über eine „gute Ausstattung“. Allerdings werden viele dieser Betten auch für andere Schwerkranke benötigt.

Um die Corona-Ausbreitung zu bremsen, brauche es „jeden einzelnen Bürger“, betonte Spahn. In diesem Zusammenhang wiederholte er auch seine Anregung, Großveranstaltungen abzusagen. Auch über kleinere Veranstaltungen müsse je nach Infektionsrisiko entschieden werden.

In den Ländern fand Spahns Vorstoß ein geteiltes Echo. Während sich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und CDU-Vorsitz-Bewerber Armin Laschet für eine Umsetzung der Empfehlung stark machte, stieß sie bei Berlins Innensenator Andres Geisel (SPD) auf große Vorbehalte. Nötig seien „abgewogene Entscheidungen“, meinte Geisel. Auch von Sportfunktionären kam Kritik an Spahn. Wenn Fußballspiele nicht mehr vor Publikum stattfinden könnten, „dann dürfte auch keiner mehr U-Bahn“ fahren“, lautete ein Gegenargument. Spahn indes wies auf „Abstufungen“ hin: Wer die U-Bahn für den Weg zur Arbeit brauche, könne sicher schwerer darauf verzichten als zum Beispiel auf den Besuch eines Konzerts oder Fußballspiels. Auf die Frage, ob auch der geplante CDU-Bundesparteitag am 25. April in Berlin abgesagt werden müsse, sagte Spahn, hier soll man sich „alle Optionen offenhalten“.

Der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske hält angesichts der zugespitzten Lage bundesweite Entscheidungen für unabdingbar, an die sich alle Beteiligten bis hin zu den Behörden in den Kommunen zu halten hätten. „Zumal man bei den unteren Ebenen davon ausgehen muss, dass dort nicht genügend medizinische Fachleute vorhanden sind, um über die Zu- oder Absage von Großveranstaltungen kompetent entscheiden zu können“, sagte Glaeske unserer Redaktion.

Der Berliner Virologe Christian Drosten, der in Berlin an dem Pressetermin mit Spahn teilnahm, dämpfte derweil die Erwartung auf ein deutliches Abflauen der Erkrankung im Zuge wärmerer Tagestemperaturen. Eine aktuelle Studie aus den USA zeige, dass die „saisonalen Effekte“ bei Corona nicht so groß wie bei anderen Erkältungsviren seien. Daher werde man wohl „direkt in eine Epidemie-Welle hineinlaufen“, meinte Drosten. Nach seiner Einschätzung hat Deutschland jedoch einen großen Vorteil bei der Früherkennung der Erkrankung, weil es ein flächendeckendes Netz von Laboren für die Diagnostik gebe. Dadurch erklärt sich laut Drosten auch, dass es trotz deutlich gestiegener Infektionszahlen bislang nur sehr wenige Todesfälle in Deutschland gibt. In anderen Ländern dagegen sei die Labor-Diagnostik erst wegen der Häufung von Todesfällen in Gang gekommen, erläuterte der Virologe.

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