Finanzdebatte im Bundestag Lindner verteidigt Nachtragsetat, Union spricht von „Schulden auf Vorrat“

Berlin · Der Bund hat 2021 weniger neue Schulden gemacht als geplant. Trotz des Nachtragshaushalts sei die Neuverschuldung um 24,8 Milliarden Euro geringer als die geplanten 240 Milliarden Euro, sagte Finanzminister Lindner am Freitag im Bundestag. Die Schuldenbremse will er 2023 wieder einhalten – nicht alle Ökonomen halten das für klug.

 Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht sich als „Ermöglichungsminister“.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht sich als „Ermöglichungsminister“.

Foto: dpa/Michael Kappeler

60 Milliarden Euro an neuen Schulden, für die der alte Bundestag 2021 bereits grünes Licht gegeben hatte, will FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner mit einem Nachtragshaushalt im Energie- und Klimafonds (EKF) für Zukunftsinvestitionen zurücklegen. Schon die alte Regierung aus Union und SPD war 2021 so verfahren: Sie hortete im Jahr 2020 ungenutzte Kredite von 28 Milliarden Euro im EKF.

Der Bundestag hatte dem Bund wegen der Corona-Krise neue Schulden von 240 Milliarden im Jahr 2021 ermöglicht und dafür eine Notfall-Regelung in der Schuldenbremse gezogen. Ab 2023 solle die Schuldenbremse aber wieder ganz normal gelten, betonte Lindner.

Der Minister bekräftigte, die Bundesregierung verstehe Finanzpolitik als „Ermöglichungspolitik“ für die anstehende Transformation in eine klimaneutrale Welt. Mit dem Nachtragshaushalt sollten „ungenutzte Möglichkeiten“ des Vorjahres reserviert werden, um pandemiebedingte Investitionen nachzuholen und Impulse zur wirtschaftlichen Belebung nach der Pandemie zu setzen. Die Umschichtung der Kredite in den EKF ist umstritten. Mehrere Kläger haben deswegen den Gang nach Karlsruhe angekündigt, denn die Regierung ändert den Zweck der Kreditaufnahme: Sie dient nicht mehr direkt der Bekämpfung der Corona-Pandemie, die die Notlage begründet, sondern dem Klimaschutz. Die Ampel-Koalition und Lindner sehen aber einen Zusammenhang zwischen beidem, weil durch die Corona-Krise notwendige Investitionen in den Klimaschutz ausgegeblieben seien. Mit dem Nachtragsetat werde man „dem Gebot des Verfassungsgerichts nach Generationengerechtigkeit gerecht – und zwar in doppelter Weise“, meinte Lindner.

Der Bundesrechnungshof hält den Nachtragshaushalt dagegen für „verfassungsrechtlich zweifelhaft“. Der Zusammenhang zwischen der 60-Milliarden-Euro-Zuweisung an den EKF und der Bekämpfung der Corona-Pandemie werde „nicht schlüssig erläutert“. Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg kritisierte in der Debatte im Bundestag, Lindner wolle „Schulden auf Vorrat“  machen. Es gehe dabei nicht um eine „verfassungsrechtliche Petitesse“. Er forderte Lindner auf, den Nachtragshaushalt zurückzuziehen. Auch der AfD-Abgeordnete Peter Boehringer sprach von einem verfassungswidrigen Nachtragsetat.

Dagegen warf der SPD-Politiker Michael Schrodi der Union vor, auf die Konjunkturbremse zu treten. Es handle sich um ein „ökonomisches Long Covid“, deshalb sei es wichtig, jetzt zum Beispiel in den Klimaschutz zu investieren. Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler sagte, beim Nachtragshaushalt gehe es um eine „Investitionsspritze“ für die Volkswirtschaft.

Das Finanzministerium arbeite außerdem an einem Corona-Steuergesetz, kündigte Lindner an. Dabei gehe es um eine Verlängerung der Homeoffice-Pauschale, eine Verlängerung von erweiterten Verlustrechnungen für Firmen, längere Fristen für die Abgabe von Steuererklärungen, steuerfreie Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld und die Steuerbefreiung für den Pflegebonus.

Top-Ökonomen diskutierten ebenso kontrovers über Nachtragsetat und Schuldenbremse wie die Parlamentarier. „Dass die Schuldenbremse ab 2023 wieder eingehalten wird, ist schlicht eine Vorgabe des Grundgesetzes“, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. „Die Schuldenbremse zwingt den Staat, bei den Ausgaben Prioritäten zu setzen. Wenn die Priorität für Investitionen steigt, sinkt eben die Priorität für konsumptive Ausgaben“, so der Präsident des Münchner Ifo-Instiuts für Wirtschaftsforschung. „Aber die Schuldenbremse lässt durchaus auch Spielräume für kreditfinanzierte Investitionen, beispielsweise über öffentliche Unternehmen.“ Zudem stünden ja die Mittel aus dem Nachtragshaushalt zur Verfügung. „Hier sehe ich eher die Gefahr, dass in den kommenden Jahren im regulären Haushalt Investitionen gekürzt und in die aus Reserven finanzierten Nebenhaushalte verlagert werden, während im Kernhaushalt konsumptive Ausgaben steigen. Dann würde der Nachtragshaushalt letztlich Konsum mit Krediten finanzieren“, warnte Fuest.

 Der Chef des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hält das Festhalten an der Schuldenbremse ab 2023 dagegen für falsch. „Die Ampel hat sich mit der strikten Bindung an die Schuldenbremse die Möglichkeit verbaut, die Finanzierung der Transformation systematisch zu lösen“, sagte er unserer Redaktion. Die Verschiebung von Krediten in den Nachtragsetat und die Nutzung von  Bundesgesellschaften als Ausweichlösung „mag politisch kurzfristig klug sein, es löst aber nicht die grundsätzlichen Fragen“, sagte Hüther.

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