Letzter Auftritt bei „Klartext“ Wo Annalena Baerbock im ZDF überzeugen konnte und wo nicht

Analyse | Berlin · Annalena Baerbock will weiter auf Sieg spielen, sagt sie gleich zu Beginn der ZDF-Sendung „Klartext“. In den folgenden 90 Minuten wird der Grünen-Kandidatin viel Detailwissen abverlangt. Nicht allen Alltagssorgen kann Baerbock gerecht werden, doch sie schlägt sich tapfer.

Annalena Baerbock

Annalena Baerbock

Foto: dpa/Carsten Koall

Knifflig wird es für Baerbock gleich zu Beginn ausgerechnet bei ihrem Paradethema, dem Klimaschutz. Ein Reiseleiter aus Sachsen möchte wissen, wie die Grünen-Chefin den Klimawandel bewältigen will, wenn im Nachbarland Polen Kohlekraftwerke einfach weiter betrieben würden. Deutschland trage schließlich nur zwei Prozent der weltweiten, menschengemachten CO2-Emissionen bei. Die EU müsse mit den USA eine Klima-Allianz schmieden, um gemeinsam voranzugehen, sagt Baerbock. Sie beruft sich auf Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin, die gerade sehr ehrgeizige Klimaziele für die EU vorgegeben habe, „bekanntlich nicht gerade eine Grüne“. Doch die Zweifel im Gesicht des Rentners aus Sachsen wollen nicht weichen, auch von der Leyen lege bisher nur Ziele vor, wie die aber eingehalten könnten, sei ungewiss.

Auch eine Landwirtin aus Hessen, die vor dem Umbau steht, lässt sich von Baerbock nur schwer überzeugen, wie sie künftig von der Landwirtschaft noch leben könnte, wenn sie klimaneutral wirtschaften muss. Ein Vertreter von 1000 Bürgerinitiativen gegen neue Windräder in Brandenburg empört sich darüber, dass Münchner Bauherren sein Bundesland weiter mit neuen riesigen Windkraftanlagen bepflastern wollten. Baerbock, selbst aus Brandenburg, überzeugt auch diesen Herrn nicht. Sie wolle zwei Prozent der Fläche jedes Bundeslandes für die Windkraft festschreiben, dann müssten sich auch Bayern und Baden-Württemberg daran halten, sagt Baerbock. Der Windkraft-Gegner wirkt nicht so, als könne er ihr glauben, dass auch Markus Söder in Bayern künftig zwei Prozent seines schönen Landes für neue Windräder reservieren wird.

Einer 18-jährigen Erstwählerin schließlich geht das Grünen-Klimaschutzprogramm nicht weit genug. Sie glaubt, dass mit den Grünen-Vorschlägen das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, nicht mehr eingehalten werden könne. Baerbock sagt ihr, sie könne das nicht versprechen, aber wolle alles tun, damit dieses Ziel noch erreicht werde. Und schließlich noch die Hauptsorge vieler Zuschauer: Wenn der Benzinpreis weiter deutlich steigen wird, könnten sich viele Menschen auf dem Land das Autofahren nicht mehr leisten. Baerbock kontert das so: Für den Umstieg auf ein Elektro-Auto solle der Staat 9000 Euro Zuschuss geben, zudem müsse der ÖPNV im ländlichen Raum ausgebaut werden. In den Gesichtern der Bürger ist der Zweifel deutlich zu lesen: der ÖPNV wird wohl nicht so schnell ausgebaut werden können, wie die Benzinpreise steigern müssten. Zweifel kommen wegen der schieren Größe der Aufgabe, weniger wegen der Antworten der Kandidatin. Die Mitbewerber ums Kanzleramt, Olaf Scholz oder Armin Laschet, hätten hier kaum mehr überzeugt als die Grüne.

Brenzlig wird es für Baerbock, als sie die Moderatorin Bettina Schausten auf persönliche Fehler im Wahlkampf anspricht. Was sei eigentlich ihre Motivation gewesen, ein Buch ohne Quellenangaben zu schreiben, fragt Schausten. Baerbock sagt, sie habe einfach aufschreiben wollen, wie sie Deutschland verändern wolle. Dabei habe sie nicht korrekt zitiert, das Buch werde jetzt gründlich überarbeitet. „Denn das war ein groer Fehler.“ Wie konnten Sie einen geschönten Lebenslauf abgeben, fragt ein Zuschauer. Baerbock gesteht hier keinen Fehler ein, sondern verweist nur auf Schwierigkeiten bei der Einordnung etwa von Vereinsmitgliedschaften, das sei korrigiert worden.

Am überzeugendsten war Baerbock erneut als wahlkämpfende Mutter von zwei kleinen Töchtern. Es dürfe nicht sein, dass Kitas und Schulen wegen einer vierten Corona-Welle noch einmal geschlossen werden müssten. Ihr Angebot „als Bundeskanzlerin in diesem Land“ sei, dass der Bund bei der Schulfinanzierung künftig mit einsteigen müsse. „Wir brauchen einfach eine dauerhafte und verlässliche Finanzierung in allen Schulen“, sagt sie einem jungen Lehrer. Bldung sei eine sozialpolitische Veranstaltung, deshalb könne sie die Schulfinanzierung, für die eigentlich Länder und Kommunen verantwortlich sind, durch den Bund über das Sozialgesetzbuch organisieren. Dafür müsse das Grundgesetz nicht geändert werden. Baerbock hat ihren stärksten Moment, als sie fordert, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.

Was war der Gänsehaut-Moment? Eine junge Frau mit vietnamesischen Wurzeln, Mitglied der AfD, sorgt sich vor einer ungeordneten Zuwanderung aus Afghanistan und anderen muslimischen Ländern. Da kamen fast nur junge Männer, viele von ihnen seien Straftäter gewesen, sagt die Frau mit stockender Stimme. Einwanderer aus muslimischen Ländern seien überproportional vertreten bei Gewalt gegen Frauen. „Wie wollen Sie die Frauen schützen, wenn sie kategorisch gegen Abschiebungen aus Afghanistan sind?“, fragt sie. Baerbock lässt sich nicht beirren und lehnt Abschiebungen nach Afghanistan strikt ab. Das Völkerrecht sage klar, man könne nicht Menschen in ein Land abschieben, wo ihnen die Todesstrafe droht oder ihr Leben durch die Taliban bedroht ist. Wer ein Straftäter sei, gehöre ins Gefängnis, sagt Baerbock. „Menschenrechte gelten für alle in der Welt“, sagt die Grünen-Kandidatin. „Die größte Gefahr ist, dass eine Frau von ihrem eigenen Ehemann getötet wird“, sagt Baerbock unter Beifall. Das geschehe jeden dritten Tag.

Was blieb hängen? Geld vom Bund verspricht die Grüne für fast alle und alles: für die Landwirte, die Kommunen in strukturschwachen Regionen, für Kitas und Schulen, für den Ausbau des ÖPNV, für arme Rentner und vor allem für mehr Klimaschutz. Der Bund soll nach ihren Plänen auch der Industrie mit Ausgleichszahlungen helfen, die enormen Kosten der Transformation hin zur Klimaneutralität leisten zu können, Stichwort Industriepartnerschaften. Doch die Stichworte Finanzierung, Verschuldung und Schuldenbremse kamen nicht vor in dieser Sendung – ein Versäumnis der Moderatoren Bettina Schausten und Peter Frey.

Hat Baerbock den Grünen noch einmal Auftrieb gegeben? Vieles war nach vielen Vorbereitungssendungen zur Bundestagswahl schon bekannt. Die Sender laufen Gefahr, sich ein wenig tot zu rennen und Zuschauer zu langweilen. Doch Baerbock bewies Standfestigkeit bei der Frage der Menschenrechte. Die kleinteilige Sendung hat von Baerbock viel Detailwissen abverlangt. Sie hat das im Großen und Ganzen gut gemeistert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort