Kohl Ein Gedenken mit klaren Worten – und verborgenen Gedanken

Berlin · Mit einer Schweigeminute und einer Rede hat der Bundestag des toten Altkanzlers gedacht. Darunter auch einige, die mit Helmut Kohl Probleme hatten.

 Aufstehen für Helmut Kohl: Mit einer Schweigeminute begann im Bundestag die Würdigung des Altkanzlers, der von 1982 bis 1998 regierte.

Aufstehen für Helmut Kohl: Mit einer Schweigeminute begann im Bundestag die Würdigung des Altkanzlers, der von 1982 bis 1998 regierte.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Man möchte Gedanken lesen können. Beispielsweise die von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Regungslos blickt der CDU-Mann im Bundestag gestern in die Weite des Plenums. Oder die von Kanzlerin Angela Merkel. Auch sie lauscht den Worten von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über Helmut Kohl andächtig. Als ob sie die Erlebnisse mit ihrem Ziehvater noch einmal Revue passieren lassen würde.

Vor einer Woche ist Helmut Kohl im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein bizarrer Streit um die richtige Würdigung des großen Staatsmannes ist entstanden. Um die Frage, ob es neben dem europäischen Trauerakt am 1. Juli in Straßburg nicht auch zusätzlich einen nationalen Staatsakt geben muss. Kohls Witwe, Maike Kohl-Richter, will ihn nicht. Lammert sagt bei der kurzen Gedenkfeier für den Altkanzler im Parlament: „Es versteht sich beinahe von selbst, dass Art und Ort der Würdigung einer herausragenden politischen Lebensleistung in und für Deutschland, bei allem Respekt, nicht nur eine Familienangelegenheit ist.“ Damit spricht er vielen aus der Seele.

Lammerts Ansprache verfolgen auch die wenigen noch im Parlament verbliebenen Weggefährten Kohls im Bundestag. An erster Stelle: Schäuble. Ihm hat Kohl nie verziehen, wie er während der Spendenaffäre Anfang der 2000er auf Distanz ging. Und Schäuble wiederum Kohl nicht, dass er sein Wort nicht hielt, ihn an seiner Stelle zum Kanzler zu machen. Der Finanzminister sinniert vor sich hin. Dann Merkel. Als Lammert sagt, ausgerechnet das Nachrichtenmagazin der „Spiegel“, dem Kohl über Jahrzehnte in Feindschaft verbunden war, habe 1969 über den Mann aus Oggersheim geschrieben: „Wann immer alte Zöpfe abgeschnitten werden, Kohl führt die Schere“, muss die Kanzlerin grinsen. Ein Satz, bei dem offenbar das Kopfkino beginnt – denn Merkel hat die CDU ebenso von alten Zöpfen befreit. Einer davon war Kohl. Womit ihr Aufstieg nach ganz oben begann.

Die Persönlichkeit des Altkanzlers, der ein „Glücksfall für Deutschland und Europa“ gewesen sei, lasse niemanden gleichgültig, betont Lammert. „Legendär sind seine integrative Kraft wie seine polarisierende Wirkung. Zwischen den Parteien und ebenso in der Union.“ Legendär ist aber auch, dass Kohl nicht verzeihen konnte und nichts vergaß. Oder wie Lammert erklärt: „Sein Gedächtnis in politischen wie privaten Dingen war phänomenal.“ Oben auf der Zuschauertribüne sitzen während der Würdigung drei Bundespräsidenten, Horst Köhler, der kürzlich aus dem Amt geschiedene Joachim Gauck und das amtierende Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier. Das von Lammert beschriebene Elefantengedächtnis des Altkanzlers scheint Steinmeier in diesen Tagen einzuholen: In Berlin wird kolportiert, der Verstorbene habe ihn förmlich „gehasst“, weil er nach dem Regierungswechsel 1998 Kohl heftig wegen vermeintlich gelöschter Akten im Kanzleramt attackierte habe. Aber Steinmeier hört Lammert ungerührt zu.

Und dann ist da auf der Tribüne noch Rita Süssmuth. Auch mit der heute 80-Jährigen hatte sich Helmut Kohl überworfen. Süssmuth war in den 1990er Jahren eine seiner Ministerinnen und Bundestagspräsidentin. Kohl soll sie mal „hinterfotzig“ genannt haben. Lammert sagt: „Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er selbst erlitt und die er anderen zufügte.“ Süssmuth, Schäuble, Merkel – sie alle können das bestätigen.

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