Frank-Walter Steinmeier Halbzeit für den Hüter der Demokratie

Berlin · Mit Reisen, Reden und Gesten setzt Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident Akzente. Seine Amtszeit ist jetzt zur Hälfte vorbei.

  Hoher Besuch: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Mittwoch mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Traben-Trarbach.

Hoher Besuch: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Mittwoch mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Traben-Trarbach.

Foto: dpa/Harald Tittel

Ein Dienstag Anfang März 2018: „Schön, dass ich hier sein kann“, sagt Frank-Walter Steinmeier beim Antrittsbesuch in Saarbrücken. Seine „Deutschlandreise“ führt den Bundespräsidenten und seine Frau Elke Büdenbender auch ins Saarland. Er will Deutschland kennenlernen, dessen Bundespräsident er ein Jahr zuvor geworden ist. Seine Aufgabe hat das Staatsoberhaupt schon damals gefunden, wie später auch im SZ-Gepräch klar wird. „Mein Thema ist und bleibt die Zukunft der Demokratie“, sagt er.

Ermutigen und Unterstützen auf dem Weg der Demokratie, das ist seit dem Amtsantritt am 19. März 2017 eine Art Regierungsprogramm für Steinmeier geworden – im Inland wie im Ausland. „Die Staatsform der Mutigen – das ist die Demokratie“, sagt Steinmeier bei seiner Vereidigung. Diesen Mut brauche es bei Regierten wie Regierenden.

In Deutschland kommt eine weitere Aufgabe hinzu: Das Land zusammenhalten. Gerade in Zeiten, in denen Fliehkräfte wirken und die für selbstverständlich gehaltene liberale Demokratie plötzlich vielfach infrage gestellt wird. Sehr schnell und wie kein anderer Bundespräsident vor ihm wird der heute 63-Jährige in dieser Rolle gefordert. Als nach der Wahl 2017 die Jamaika-Option nach wochenlangen Sondierungen platzt, sind die Fliehkräfte besonders stark. Neuwahlen scheinen der einzige Ausweg. Doch Steinmeier mahnt Gesprächsbereitschaft an, erteilt den Parteien einen Ordnungsruf. Am Ende werden Neuwahlen vermieden. Es kommt zur Neuauflage der großen Koalition.

Wenig Verständnis hat Steinmeier für den Vorwurf, er habe mit seiner Hartnäckigkeit die SPD in dieses ungeliebte Bündnis geradezu gedrängt. „Ich habe schlicht und einfach die Verfassungslage erläutert“, sagt der Sozialdemokrat, dessen Parteimitgliedschaft ruht.

Fliehkräfte erlebte das Land nicht nur in der Politik. Auch in der Gesellschaft wirken sie, gefühlt stärker als je zuvor. Regionen fühlen sich abgehängt. Fremde werden als Problem gesehen. Ost und West haben 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer nicht richtig zusammen gefunden. Das treibt den Präsidenten um. So fährt er in den ersten zweieinhalb Jahren viel durch die Republik.

Die Herausforderungen für das Gemeinwesen sind seit dem Amtsantritt gewachsen. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vermutlich durch einen Rechtsextremisten ist ein Beispiel, zunehmende Übergriffe auf Juden ein anderes. Steinmeier setzt Zeichen, trifft den attackierten Rabbiner Yehuda Teichtal und spricht mit der Witwe Lübckes. Er lädt demonstrativ Kommunalpolitiker ins Schloss Bellevue ein, nennt sie „Wurzelwerk der Demokratie“.

In die Tagespolitik mischt sich ein Bundespräsident üblicherweise nicht ein. Manchmal scheint Steinmeier diese Grenze aber dehnen zu wollen. Etwa, wenn er zwei Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg an Wähler und Kandidaten appelliert: „Treibt unser Land nicht auseinander!“ Oder wenn er wie jüngst im Spiegel-Interview die AfD „antibürgerlich“ nennt und damit harsche Reaktionen auslöst. Solch offene Kritik hat Steinmeier in der ersten Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit nur selten zu hören bekommen. Es gibt aber gewisse Momente. Auch, als seine Unterstützung für ein Konzert gegen Rechts in Chemnitz im September vergangenen Jahres, bei dem auch die linksgerichtete Punkband Feine Sahne Fischfilet auftritt, AfD und CDU auf den Plan ruft.

Ein bisschen Tagespolitik ist es auch, wenn Steinmeier nur Stunden vor einem Berlin-Besuch des britischen Premiers Boris Johnson laut fragt, ob es sich bei dessen Wunsch nach Brexit-Nachverhandlungen in Wahrheit nicht schon um „Schuldzuweisungen“ für einen ungeregelten Austritt aus der EU handelt.

Überhaupt Europa. Es liegt Steinmeier erkennbar am Herzen. Und es ärgert ihn, dass sich dieses Europa seit Jahren vornehmlich mit sich selbst und dem Brexit beschäftigt. Während andere wichtige Themen wie etwa Klimaschutz liegen bleiben. Steinmeier warnt vor einer „Dauerkrise“ der EU – bislang vergeblich. Sein leidenschaftliches Eintreten für das geeinte Europa rührt nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass dieses erst die Aussöhnung auf dem Kontinent nach dem Blutvergießen der Weltkriege möglich gemacht hat. Und dass dieses geeinte Europa auch der beste Garant gegen einen Rückfall in Nationalismus, Hass und Gewalt ist.

Das Thema hat Steinmeier zuletzt stark beschäftigt. Im italienischen Fivizzano gedenkt er der Opfer eines SS-Massakers. Im polnischen Wielun, dem ersten Angriffsziel Hitler-Deutschlands vor 80 Jahren, nimmt er an der Gedenkveranstaltung zum Beginn des Zweiten Weltkriegs teil. Dorthin gehen, wo sonst kaum jemand hingeht – das ist ihm auch bei diesen Reisen wichtig. Und er wird geschätzt, auch für seine Reden und Gesten.

 Saarland-Besuch: Steinmeier im März 2018 mit Ehefrau Elke Büdenbender (r.) und Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) in Saarbrücken.

Saarland-Besuch: Steinmeier im März 2018 mit Ehefrau Elke Büdenbender (r.) und Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) in Saarbrücken.

Foto: dpa/Arne Dedert

Sein Anliegen formuliert der Streiter für die Demokratie auch an diesem Mittwoch beim Besuch in Rheinland-Pfalz. „Wir dürfen Kritik nicht kleinreden und wir dürfen die Frustrierten und Wütenden nicht zur Seite schieben“, sagt Steinmeier in Traben-Trarbach. „Sondern wir müssen lernen, auch hier in Deutschland, für die Demokratie aufs Neue zu streiten und neue Antworten zu finden, wo alte offensichtlich nicht mehr taugen.“

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