Kanzlerin Merkel verteigt Teil-Lockdown „Wir machen das doch nicht gerne“

Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Verständnis für die Lockdown-Kritiker, bleibt aber in der Sache hart.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte die Bevölkerung am Montag einmal mehr auf Disziplin in der Corona-Krise einzuschwören und verteidigte den mit den Ministerpräsidenten beschlossenen Teil-Lockdown.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte die Bevölkerung am Montag einmal mehr auf Disziplin in der Corona-Krise einzuschwören und verteidigte den mit den Ministerpräsidenten beschlossenen Teil-Lockdown.

Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Tag Eins des zweiten Lockdowns. Angela Merkel kommt direkt aus dem Corona-Kabinett. Das hat zwar nichts Neues beschlossen, trotzdem stellt sich die Kanzlerin zum dritten Mal in diesem Jahr den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Das ist ungewöhnlich. Der Saal ist voll, soweit die Abstandsregeln es erlauben. Es gibt viel zu erklären.

Im Kern geht es der Regierungschefin um das Einschwören der Bevölkerung auf Disziplin. In den Krisenstäben weiß man: Noch so viele Verbote können die Ausbreitung des Virus nicht verhindern, wenn sich die Bürger nicht aktiv an der Infektionsvermeidung beteiligen. Also sagt die Kanzlerin: „Jeder und jede hat es in der Hand“. Sie lockt: Wenn es gelinge, die Zahl der Neuinfektionen von derzeit 128 wieder auf 50 je 100 000 Einwohner zu bringen, bekomme man wieder Kontrolle. Das sei das klare Ziel. Dann könne es auch einen erträglichen Dezember und ein Weihnachtsfest mit weniger Einschränkungen geben. „An große Silvesterpartys glaube ich aber nicht“, fügt die Regierungschefin einschränkend hinzu.

Merkel wählt da eine andere Tonlage als etwa ihr Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am gleichen Tag mit der Spekulation zitiert wird, der zweite Lockdown müsse nicht der letzte sein. Oder als Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), der betont, dass man nicht wisse, ob die Maßnahmen nach dem November fortgesetzt werden müssen. Erst einmal auf das Licht am Ende des Tunnels zeigen statt auf dessen Länge, scheint die Losung im Kanzleramt zu sein. Kanzleramtschef Helge Braun (ebenfalls CDU) sagt morgens im Radio sogar: „Unser erklärtes Ziel ist, dass wir Ende November die Maßnahmen in dieser Strenge beenden wollen.“

Es ist der dritte Auftritt Merkels innerhalb weniger Tage. Die Kanzlerin weiß um die massive Kritik am zweiten Lockdown und ist auch gekommen, um zu verteidigen, was sie letzten Dienstag zusammen mit den Ministerpräsidenten beschlossen hat. „Kein Mensch hat sich so etwas gewünscht“, sagt sie. Und auch: „Wir machen das doch nicht gerne“.

Besonders die Wirte sind verbittert und tragen ihren Ärger an eine vielköpfige Kundschaft weiter. Restaurants und Gaststätten hätten viel in den Infektionsschutz investiert, bei ihnen seien keine Infektionsherde ausgemacht worden, wird der Kanzlerin mehrfach vorgehalten. Warum also müssen sie schließen? Merkel sagt erst einmal, dass sie Verständnis für den Unmut habe. Und tröstet, die Hygienekonzepte würden wieder wichtig werden, sobald man wieder zu Lockerungen komme. In der Sache aber bleibt sie knallhart. Bei 75 Prozent der Infektionen wisse man den Ansteckungsort nicht. „So viele Partys gibt es gar nicht, wie es Infektionen gibt“. Also müsse es generell darum gehen, die Zahl der Kontakte wieder stark zu reduzieren. Und da Wirtschaft, Geschäfte und Schulen weiterlaufen sollten, seien davon eben alle nicht lebensnotwendigen Bereiche betroffen. Das sei „letztlich eine politische Entscheidung gewesen und mit Fragen der Gerechtigkeit nicht zu erklären“, räumt Merkel ein. Und fügt hinzu: „Wer sagt, wir haben an falscher Stelle geschlossen, muss sagen, wo wir es denn sonst hätten machen sollen.“

Normalerweise antwortet die Kanzlerin vor diesem Forum kurz und präzise. Diesmal kommt sie oft vom Hundertsten ins Tausendste. „Oh, jetzt habe ich mich in Rage geredet, wie war noch mal die Frage“, sagt sie einmal. Man merkt ihr Bemühen, mit den Journalisten auch die Öffentlichkeit zu überzeugen. Nur einmal ist sie ganz kurz angebunden. Nämlich bei der Frage, ob die Bundesregierung den reduzierten Mehrwertsteuersatz verlängern wird und wann sie darüber entscheidet. Antwort: „Wir entscheiden darüber nicht, und sie läuft automatisch aus.“

Der Auftritt ist ein weiterer Mosaikstein in Merkels Kommunikationsoffensive, die nun schon seit dem Frühjahr anhält. Es gab viele Videos und Fernsehansprachen. Und legendäre Sätze wie „Nehmen Sie es ernst, es ist ernst“. Nicht alle haben das befolgt. Auch nicht die Warnung der Kanzlerin Ende September, wenn es so weitergehe, werde die Zahl der Neuinfektionen bis Weihnachten auf über 19 000 pro Tag steigen. Das wurde schon letzte Woche erreicht. Merkel schafft auch diesmal wieder eine Formulierung, die im Gedächtnis bleiben wird: „Das Virus bestraft Halbherzigkeit“. Aber sie will gar nicht das Gedächtnis erreichen. Sondern den Verstand.

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