Ampel-Schlagabtausch zum Bundeshaushalt Der eine nassforsch, die anderen trotzig und beleidigt

Analyse | Berlin · Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner ist mit Gutachten vorgeprescht und will die Koalitionspartner beim Bundeshaushalt 2025 zum Nachsitzen zwingen – doch die reagieren maximal verärgert. Das ohnehin ramponierte Ansehen der Ampelkoalition leidet.

 Vermeintlicher Neustart der Ampel: Anfang Juli präsentierten Kanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne, rechts) und FDP-Chef Christian Lindner ihre Haushaltslösung.

Vermeintlicher Neustart der Ampel: Anfang Juli präsentierten Kanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne, rechts) und FDP-Chef Christian Lindner ihre Haushaltslösung.

Foto: dpa/Michael Kappeler

In der Regierungsspitze ist Christian Lindner gerade allein zu Haus: Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) noch im Sommerurlaub weilen, bespielt der Bundesfinanzminister und FDP-Chef die politische Bühne im Alleingang. Am Donnerstag ließ er eine Bombe platzen. Lindner verbreitete die Ergebnisse der beiden Gutachten zum fragilen Teil der jüngsten Haushaltsbeschlüsse der Ampel-Spitzen – und lieferte ein Papier mit den Schlussfolgerungen des Finanzministeriums gleich mit. Am Sonntag legte Lindner publikaumswirksam nach. Im „ZDF-Sommerinterview“ erklärte er, er werde verfassungswidrige Ideen nicht mitmachen. Die Ampel müsse bis Mitte August noch einmal ran an den Bundeshaushalt 2025 und rund fünf Milliarden Euro einsparen.

Aus den vorgelegten Gutachten des Bielefelder Verfassungsrechtlers Johannes Hellermann und des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums lassen sich in der Tat erhebliche verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Bedenken gegen mehrere Haushaltskniffe herauslesen, die laut Lindner alle Ideen des Kanzleramts waren. Doch mit der schnellen Veröffentlichung der Expertisen und der Schlussfolgerungen stieß der FDP-Chef die Koalitionspartner vor den Kopf. SPD und Grüne reagierten maximal verärgert und warfen Lindner Foulspiel vor. Aktion und Reaktion sorgen dafür, dass das Ansehen der Ampelkoalition in der Öffentlichkeit weiter leidet – und das wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September.

Anfang Juli sahen Scholz, Habeck und Lindner noch wie Sieger aus. Es schien, als hätten sie wider Erwarten die Quadratur des Kreises geschafft: Stolz präsentierten die drei Ampel-Herren am 5. Juli ihre Lösung aller Haushaltsprobleme. 80 Stunden hatte man verhandelt, die Nacht bis zur Pressekonferenz durchgemacht. „Schlaf wird überschätzt“, sagte der erleichterte Kanzler am Morgen. „Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, erklärte Lindner. Trotz steigender Ausgaben für Sozialleistungen, höherer Zinsen und gesetzlicher Verpflichtungen schien es gelungen zu sein, einen ausgeglichenen Haushalt und auch noch eine Wachstumsinitiative vorzulegen – bei Einhaltung der Schuldenbremse und sogar noch Steuerentlastungen. Die Ampel hatte – zur Überraschung vieler – ihr größtes Problem scheinbar gelöst und sich selbst gerettet.

Doch nur vier Wochen später wurde klar: Das Trio hatte eben doch keine tragfähige Gesamtlösung gefunden. Die Lücke im Haushalt von 17 Milliarden Euro wurde eben nur teilweise geschlossen. Neun Milliarden wollen Scholz, Habeck und Lindner weiterhin im Jahresverlauf 2025 durch Ausgabereste einsparen, der technische Ausdruck dafür lautet „Globale Minderausgabe“ (GMA). Das Instrument ist üblich, doch eine GMA von neun Milliarden Euro ist schon historisch hoch. Die verbleibenden acht Milliarden Euro wollte man durch drei Haushaltskniffe hereinbekommen: Bei der Staatsbank KfW ungenutzte Kredite, die eigentlich für die Gaspreisbremse vorgesehen waren, sollten dem Haushalt dienen. Die Gutachter halten das jedoch für verfassungswidrig. Zudem sollten die Bahn und die Autobahngesellschaft Darlehen vom Bund statt direkter Zuschüsse erhalten. Das wäre laut Gutachter Hellermann verfassungsrechtlich zwar zulässig, aber zumindest im Falle der Autobahngesellschaft ein schlechtes Geschäft für den Bund, weil das Geld wahrscheinlich nicht zurückkäme.

Lindner hat kurzerhand gleich alle drei Kniffe kassiert, SPD und Grüne finden das voreilig. Statt der Bahn einen Kredit zu gewähren, denkt der Finanzminister jetzt daran, das Eigenkapital der Bahn nochmals um bis zu 3,6 Milliarden Euro aus Kreditmitteln aufzustocken, die nicht auf die Schuldenbremse anzurechnen sind. Darüber hinaus müsse die Ampel weitere Milliarden sparen. SPD und Grüne fühlen sich vom FDP-Chef überrumpelt: Sie wollen nicht noch mehr kürzen, schon die vereinbarten Streichungen bei der Entwicklungshilfe und der humanitären Hilfe des Auswärtigen Amts tun weh.

Lindner „spricht von Transparenz, aber er hat nicht innerhalb der Regierung Transparenz hergestellt, sondern mit der Öffentlichkeit. Das ist unanständig, und das dient der eigenen Profilierung“, beklagte sich SPD-Chefin Saskia Esken. „Es gibt keinen Grund neu zu verhandeln“, erklärte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch trotzig. Es sei Lindners ureigene Aufgabe als Finanzminister, eine Lösung für die Fünf-Milliarden-Lücke zu finden, nicht die der Koalition.

Dass Lindner in die Öffentlichkeit ging, ohne vorher für ein gemeinsames Verständnis der Gutachten in der Regierung zu sorgen, sagt viel über das zerrüttete Verhältnis der Ampel-Spitzen aus. Wenn SPD und Grüne das öffentlich als Foulspiel beklagen, macht das die Sache für die Koalition nur schlimmer – nachsitzen beim Etat muss sie trotzdem.

Ein anderer Blick von außen sieht so aus: „Dass es ein Foul sein soll, in einer fiskalisch wie politisch hochsensiblen Rechtslage Transparenz herzustellen, offenbart ein merkwürdiges, manipulationsgeneigtes Politikverständnis. Für die Demokratie ist Informationsklarheit erheblich bedeutsamer als Koalitionsopportunismus“, sagte der Passauer Politikwissenschaftlicher Heinrich Oberreuter. „Ein Foul begeht, wer die Verfassungslage nicht respektiert, noch dazu wenn Karlsruhe soeben schmerzlich daran erinnert hat. Angesichts eines Haushaltsvolumens von fast 500 Miliarden sollte aber ein Klacks von fünf Milliarden Euro mit Sachverstand und gutem Willen nicht schwer zu finden sein.“