Boris Pistorius beim Einsatzführungskommando Ein Minister auf Inspektion

SCHWIELOWSEE · Die Bundeswehr soll sich wieder stärker auf Bündnis- und Landesverteidigung konzentrieren. Doch in der Ära einer Zeitenwende werden deutsche Streitkräfte im Ausland im Einsatz sein oder dafür angefragt. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius verschafft sich einen Überblick und besucht dazu das Einsatzführungskommando in Schwielowsee bei Potsdam

Bundesverteigigungsminister Boris Pistorius wird beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr von dessen Befehlshaber Generalleutnat Bernd Schütt (l) empfangen.

Bundesverteigigungsminister Boris Pistorius wird beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr von dessen Befehlshaber Generalleutnat Bernd Schütt (l) empfangen.

Foto: dpa/Soeren Stache

Der Kanzler ist in Chile. Weit weg von Schwielowsee, wo das Einsatzführungskommando der Bundeswehr seinen Sitz hat. Boris Pistorius ist an diesem Montag rausgefahren vor die Tore von Potsdam, um sich dort am Schwielowsee über die Lage in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ins Bild setzen zu lassen. Deutsche Streitkräfte sind aktuell auf drei Kontinenten in Europa, Asien und Afrika in internationalen Auslandsmissionen gebunden, wohin sie der Auftraggeber der Parlamentsarmee, der Deutsche Bundestag, entsandt hat. Trotz sehr unterschiedlicher Standorte reden Scholz und Pistorius am Montag über dasselbe Thema: weitere Waffenlieferungen für die Ukraine. Zumindest werden sie danach gefragt.

Pistorius ist den zwölften Tag im ebenso aufreibenden wie auch für politische Karrieren riskanten Amt des Verteidigungsministers, als er in Schwielowsee vom Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Bernd Schütt, begrüßt wird. Pistorius hat auf dem Schleuderstuhl an der Spitze von Bonner Hardthöhe und Berliner Bendlerblock einen Vorteil: Er ist 62 Jahre alt und muss politisch nichts mehr werden, wie er selbst auch in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt. Er sei unabhängiger, weil er danach nichts mehr erreichen müsse. „Aber ich will hier auch nicht als Gescheiterter vom Hof gehen.“ Das Amt -- eine Ehre und eine Bürde zugleich. Pistorius sagt: „Ich habe richtig Bock auf den Job.“

Zur Lust darauf, ein höchst kompliziertes Ministerium zu führen, gehört auch, die Bundeswehr durch diese Zeitwende zu steuern und möglichst schnell jenes Gerät, jene Ersatzteile und auch die Mangelware Munition zu beschaffen, die die Truppe für ihre Einsätze in aller Welt braucht. Also gut Zuhören in Schwielowsee. Der Minister wird aus der Operationszentrale per Videoschalte mit mehreren Bundeswehr-Kontingenten im Einsatz verbunden – nach Litauen, nach Mali, nach Jordanien, in den Kosovo, nach Bosnien-Herzegowina. Der Minister ist dazu gerade auf Inspektions- und Kennenlern-Reise durch die Truppe wie jetzt beim Einsatzführungskommando.

Unter anderem muss sich Pistorius gut überlegen, wie er die Abgabe militärischen Großgeräts an die ukrainischen Streitkräfte aus Beständen der Bundeswehr wieder auffüllt. Diese Woche will er auch mit der Rüstungsindustrie sprechen, wie mehr Tempo in die Beschaffung kommen kann. Gerade erst hat vor allem Bundeskanzler Scholz nach langem Zögern grünes Licht für die Lieferung von „Leopard“-Panzern aus Einheiten der Bundeswehr gegeben. Am Mittwoch besucht Pistorius ein Panzerbataillon in Augustdorf bei Bielefeld, das 14 „Leopard“-Panzer an die Ukraine abgibt. Schon kocht die Debatte darüber hoch, ob Deutschland nicht auch Kampfjets an die Ukraine liefern sollte. Der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk, vormals Botschafter seines Landes in Berlin, fordert zudem deutsche Fregatten, damit die Ukraine ihre Häfen im Schwarzen Meer schützen könne. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, unterstützt eine mögliche Lieferung von Kampfjets an die Ukraine und nennt eine solche Abgabe in einem Fernsehinterview „adäquat“. Nach seinen Worten kommen hierfür vor allem US-amerikanische F16-Jets oder Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart aus alten DDR-Beständen in Frage.

Der Bundeskanzler will auf seiner Südamerika-Reise die Debatte über Kampfjets nicht noch weiter befeuern. Er habe dazu alles gesagt. Scholz warnt vor einem Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Wer liefert mehr? Auch Pistorius will keinen Wettbewerb um Waffenlieferungen. Er will auch nicht spekulieren und in Schwielowsee deswegen nicht auf „hypothetische Fragen“ antworten. Der Bundeskanzler habe dazu „alles gesagt, was zu sagen ist“. Es sei außerdem „weder Zeit noch Ort, darüber zu sprechen, was wir noch anbieten können“.

Der Minister steht wenige Minuten später im „Wald der Erinnerung“. Pistorius schreitet den leicht ansteigenden Weg entlang, an dessen Rand acht Stelen mit den Namen von im Einsatz getöteten Soldatinnen und Soldaten stehen. Diese Gedenkstätte auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos erinnert an bislang 116 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz ums Leben kamen, davon 37 gefallen im Gefecht. Vor diesem stillen Gang hat er beim Auftritt vor den Fernsehkameras noch gesagt, der Soldatenberuf könne ein „scharfes Ende“ haben. Es gehe um Frauen und Männer, die im Einsatz getötet oder schwer verwundet werden.

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