Urteil des Bundesgerichtshofs zu Cum-Ex-Finanzgeschäften Im Geiste des ehrlichen Steuerzahlers

Analyse | Berlin · Der Bundesgerichtshof hat zwei Revisionsanträge in der Cum-ex-Affäre zurückgewiesen und damit die Aktiengeschäfte für illegal erklärt – Verurteilungen anderer Beschuldigter in weiteren Verfahren sind wahrscheinlich.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), Ex-Bürgermeister von Hamburg, offenbarte vor einem Untersuchungsausschuss große Erinnerungslücken.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), Ex-Bürgermeister von Hamburg, offenbarte vor einem Untersuchungsausschuss große Erinnerungslücken.

Foto: dpa/Soeren Stache

Ein höchstrichterliches Urteil hat immer Signalwirkung. Deshalb kann man sicher sein, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu den sogenannten Cum-ex-Steuergeschäften das juristische Procedere zumindest in Deutschland maßgeblich prägen wird, auch wenn es zunächst nur um die Revision in zwei Einzelfällen geht. Eingelegt hatten diese ein britischer aktienhändler, der mit einem Kollegen vom Landgericht Bonn im März des vergangenen Jahres 2020 wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe dazu zu Bewährungsstrafen verurteilt worden ist, und das Hamburger Bankhaus Warburg, das 176 Millionen Euro an zu Unrecht erhaltener Kapitalertragsteuer zurückzahlen muss. In beiden Fällen ist das Urteil nun rechtskräftig, und es werden nicht die letzten sein.

Ehe man sich aber überhaupt an die juristische Aufarbeitung von Cum-Ex-Fällen und des damit verbundenen größten Steuerskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte macht, sollte eines klar sein: Sich vom Staat Steuern erstatten zu lassen, die man niemals gezahlt hat, ist ein Stück aus dem Tollhaus. Insofern musste, ja konnte man über die moralische Schuld der potenziellen Täter nie ernsthaft streiten, erst recht nicht in solchen Dimensionen. Wenn schon das Schummeln bei der Kilometerpauschale nicht in Ordnung ist, wie sollten es da illegale Geschäfte sein, die den Fiskus 30 Milliarden Euro gekostet haben? Dass der Bundesgerichtshof die Deals als kriminell eingestuft hat, ist auch für das Rechtsempfinden ehrlichern deutscher Steuerzahler die richtige Entscheidung.

Oft genug haben Vertreter von Banken sich zu Recht daürber beschwert, dass die Geldbranche zu stark reguliert werde. Darüber haben sie allerdings vergessen, dass schwarze Schafe wie die Cum-ex-Trickser den Ruf selbst beschädigt haben. Eine illegale Allianz von Investoren, Bankern und Steueranwälten.

Vor 2012, so hieß es früher immer, hätten die Beschuldigten nur eine Gesetzeslücke ausgenutzt, ein legales Steuersparmodell, bei dem sie sich stets als Finanzmarktakteure gerierten, die sich besonders fantasievoll im Rahmen der Gesetze bewegten. Vorbei. Der BGH hat sein Urteil nämlich unter anderem mit Rückgriff auf den Paragrafen 370 der Abgabenordnung gefällt, demzufolge jeder, der unvollständige Angaben macht, der „steuerlich erhebliche Tatsachen“ verschweigt, der „Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“, gegen das Gesetz handelt. Damit haben die Karlsruher Richter die Argumentation der Cum-ex-Beschuldigten und ihrer Anwälte im Keim erstickt, weil die gern zitierte Gesetzeslücke gar nicht mehr der entscheidende Punkt ist. Credo: Auch ohne ein eigens erlassenes Gesetz hätten die Betroffenen wissen müssen, dass sie sich strafbar machen. Dass Cum-ex-Deals bestenfalls eine gelungene Trickserei findiger Geschäftemacher gewesen sein sollen, kann niemand mehr behaupten, ohne höchstrichterliche Rechtsprechung zu ignorieren.

Insofern hat der BGH auch die damals (nicht) handelnde Bundesregierung natürlich ein bisschen aus der Schusslinie ihrer Kritiker genommen. Man muss jetzt nicht mehr darüber diskutieren, ob der deutsche Staat an dem Milliardenloch in der Staatskasse eine Teilschuld trägt, weil er Jahre gebraucht hat, bis er den Cum-ex-Steuerbetrug durch ein entsprechendes Gesetz juristisch strafbar gemacht hat. Dass die politischen Gegner von Schwarz-rot das Karlsruher Urteil trotzdem zum Anlass für Wahlkampf-Attacken nehmen würden, war zu erwarten. Der Linken-Finanzpolitiker Fabio de Masi beispielsweise hat das Urteil als „Ohrfeige für Finanzminister Olaf Scholz“ bezeichnet. Zur Erinnerung: Scholz, der SPD-Kanzlerkandidat, habe sich in seiner Amtszeit als damaliger Erster Bürgermeister Hamburgs mehrfach mit Christian Olearius getroffen. Der war seinerzeit Sprecher des Hamburger Bankhauses Warburg, einem der Verlierer im Revisionsverfahren vom Mittwoch. Die Hamburger Finanzbehörde hatte eine Warburg-Steuerschuld von 43 Millionen Euro zunächst verjähren lassen. Erst deutlich später war das Bundesfinanzministerium eingeschritten, um eine weitere Verjährung von Warburg-Steuerschulden zu unterbinden. Die Bank hat schließlich insgesamt 176 Millionen Euro an zu Unrecht erhaltener Kapitalertragsteuer zurückzahlen müssen und hatte dagegen Revision eingelegt.

Auch der Grünen-Chef Robert Habeck hat sich auf Scholz eingeschossen und den Finanzmminister zum Handeln aufgefordert: „Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist wegweisend, gerade auch für die dringend notwendige Aufarbeitung des Cum-ex-Skandals an anderen deutschen Gerichten. Höchstrichterlich wurde heute klargestellt, dass der Cum-ex-Steuerraub nicht nur illegal, sondern strafbar ist. Jetzt müssen alle Kräfte darauf gerichtet werden, dass es zu keiner Verjährung kommt.“

Letzteres ist ein wichtiger Punkt. Denn die Klarstellung aus Karlsruhe hat nur dann eine vollends befriedigende Wirkung, wenn den Strafverfolgungsbehörden auch möglichst wenig Täter durchs Netz gehen und möglichst viel von den durch ihre Taten verlorengegangenen Steuereinnahmen zurück in die Staatskasse fließen. Je mehr davon gelingt, umso mehr können die Behörden Vertrauen wiederherstellen, das bis zum ersten Urteil in der Cum-ex-Affäre vor dem Landgericht Bonn reichlich verlorengegangen war.

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