Chef-Verhandlerin Bettina Stark-Watzinger Die neue starke Frau der FDP

Berlin · Insider hatten sie längst auf dem Zettel. Nun zeigt ein Blick auf die vier Chef-Verhandler der Ampel-Koalition für die FDP die rasant gewachsene Rolle einer liberalen Politikerin aus Hessen. Bettina Stark-Watzinger mischt ganz oben mit. Wer ist sie, was treibt sie an?

 Aus Hessens Forschungslandschaft an die Spitze der FDP-Bundespolitik: Bettina Stark-Watzinger.

Aus Hessens Forschungslandschaft an die Spitze der FDP-Bundespolitik: Bettina Stark-Watzinger.

Foto: FDP

„Dein Talent - Deine Zukunft.“ Gleich drei Plakate mit diesem Slogan zur liberalen Bildungspolitik hängen an der Wand. Das Bundestagsbüro im Jakob-Kaiser-Haus lässt zwar einen imposanten Blick auf den herbstlich gefärbten Berliner Tiergarten zu. Doch die Abgeordnete dürfte ihn selten genießen. Sie hat ihren Arbeitsplatz in einer Nische am anderen Ende platziert. Im Mittelpunkt des Raumes steht ein großer Konferenztisch. Die Wörter, Pfeile und Schlussfolgerungen zur Steuer- und Finanzpolitik auf der riesigen Tafel neben den Plakaten machen klar, dass hier inhaltlich gearbeitet wird. Wie man es im Büro einer Parlamentarischen Geschäftsführerin auch vermuten darf.

„Dein Talent - Deine Zukunft“. Auch fünf Wochen nach der Wahl scheint die Abgeordnete wenig davon zu halten, Ankündigungen aus dem Wahlkampf schnell wieder verschwinden zu lassen. Vielleicht fühlt sich die 53-jährige FDP-Politikerin aus Hessen nicht nur wegen ihrer Expertise in der Bildungspolitik von diesen Aussagen angesprochen. Jedenfalls legt ihre Turbo-Karriere in der Bundespolitik auch eine andere Vermutung nahe. Da ist ein Talent mit Zukunft. In knapp zwei Monaten könnte Bettina Stark-Watzinger Bundesministerin sein.

Erst 2017 stieg sie wahrnehmbar in die Bundespolitik ein, wurde Abgeordnete und Vorstandsmitglied ihrer Partei. Im vergangenen Jahr wählte die FDP sie bereits ins Präsidium. Und nun gehört sie bei den Koalitionsverhandlungen mit Christian Lindner, Volker Wissing und Marco Buschmann zum vierköpfigen Führungsteam der FDP-Delegation. Sie ist dabei, wenn am Schluss die großen Entscheidungen fallen. Und damit gehört sie automatisch zum Kreis derjenigen, die auch danach zu den wichtigsten Entscheidern gehören. In der Partei, in der Fraktion, in der Regierung.

„Es ist eine Riesenchance, nun selbst Themen anpacken zu können, bei denen wir gerade nur kritisieren konnten“, sagt Stark-Watzinger. „Die Menschen müssen in ihrem Alltag spüren, dass sich in den nächsten vier Jahren substanziell etwas verbessert.“ Dafür packt sie mit an. Sie ist so etwas wie die weiblich-hessische Variante eines Christian Lindner. Der startete die Wiedererstarkung der FDP, als sie 2013 aus dem Bundestag geflogen war. In Hessen hatten die Liberalen bei der Landtagswahl am selben Tag 11,2 Prozentpunkte verloren, waren nur hauchdünn im Parlament geblieben - aber wie die Gesamtpartei auf Orientierungssuche.

Fünf Monate später war Stark-Watzinger stellvertretende Landesvorsitzende, wechselte ins neu geschaffene Amt einer Generalsekretärin, wurde schließlich Landesvorsitzende. Und natürlich beteiligte sie sich intensiv am innerparteilichen Leitbildprozess, der die FDP von innen stärkte, bevor sie wieder Wahlen gewinnen und nach dieser Selbstvergewisserung sogar eine Regierungsbeteiligung im Bund ausschlagen ließ, weil sie glaubte, zu wenig Inhalte in eine Jamaika-Koalition unter Angela Merkel einbringen zu können.

Auch persönlich hat Stark-Watzinger einen solchen „Leitbildprozess“ hinter sich, ist sie „über die Themen zu den Freien Demokraten gekommen“. Und zwar am Beispiel ihrer eigenen Familie. „Mein Opa war Schreinermeister, meine Mutter wäre gerne Architektin geworden, durfte es aber nicht.“ Daraus wuchs für die Tochter die Überzeugung: „Jeder Mensch sollte seinen Lebensweg gehen können.“ Während sie das sagt, hängen hinter ihr die Plakate „Dein Talent - Deine Zukunft.“

Sie selbst konnte ihren Lebensweg freier gehen als ihre Mutter. Bettina Stark wuchs in Bad Soden im Taunus auf, wo sie heute noch mit ihrer Familie lebt, studierte Volkswirtschaftslehre in Mainz. Sie machte eine Trainee-Ausbildung in einer Frankfurter Bank, ging danach für sechs Jahre nach Großbritannien, um in der Londoner City ebenfalls in der Finanzbranche zu arbeiten. 2006 kehrte sie nach Deutschland zurück, wurde Geschäftsführerin zweier Forschungseinrichtungen, die längste Zeit davon im Loewe-Zentrum an der Frankfurter Universität.

Vom Banking zur Bildung - den Weg hatte sie beruflich längst vollzogen, als sie in der ersten Wahlperiode im Bundestag einen ähnlichen Verlauf bei ihren Zuständigkeiten nahm. Schon nach wenigen Wochen war sie Vorsitzende des Finanzausschusses. Den Posten legte sie Anfang 2020 nieder, um ein noch höheres Amt in der Fraktionshierarchie zu übernehmen: zusammen mit dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann lenkte sie die Geschicke ihrer Fraktion. Inzwischen ist die von 80 auf 92 Abgeordnete gewachsen. Im Haushaltsausschuss kniete sie sich federführend in den Etat des Bundesbildungsministeriums.

Aus dieser Nahbeobachtung weiß sie sehr genau, was in den letzten Groko-Jahren hätte besser laufen müssen. „Es ist ein Skandal, dass so viele Milliarden im Digitalpakt einfach nicht abgeflossen sind“, stellt sie etwa heraus. Ihre Alternative: „„Ich hätte eine Koalition der Willigen von Ländern, Kommunen und Schulen gebildet.“ Doch zu sehr will sie mit Noch-Amtshinhaberin Anja Karliczek von der CDU nicht verglichen werden. Am Ende könnte noch der Verdacht aufkommen, als hätte sie Ambitionen als Bildungsministerin. Für die gerade anlaufenden Verhandlungen wäre das viel zu früh. Da geht es erst um Inhalte, dann um Ressorts und ganz zum Schluss um Personen.

Also zurück zu den Inhalten: „In der Forschung sind wir nicht mutig genug, wir brauchen zum Beispiel eine Stärkung der Agentur für Sprunginnovationen,“ lautet eine von Stark-Watzingers Überzeugungen. Eine andere: „Wir sollten in der Forschung unsere Kräfte besser bündeln.“ Sie hat ja selbst in einem Forschungsinstitut gearbeitet und weiß daher aus der Praxis, „wie man das aufziehen muss“. Es ist also zu spüren: Da hält sich eine Frau bereit, die Sache in den Griff zu nehmen.

Und wenn denn nach der Regierungsbildung der Blick aus ihrem Büro weiter auf den Tiergarten geht?  „Parlamentarierin zu sein, das ist schon ein tolles Gefühl“, unterstreicht Stark-Watzinger. Und sie erinnert sich sehr gut an ihre Gedanken, als sie das erste Mal in den Bundestag kam: „Wahnsinn, dass ich hier meine Wähler vertreten darf.“ Vielleicht bald auch mehr.

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