Vor der Konzertierten Aktion von Kanzler Scholz Arbeitgeberchef sieht Deutschland vor schweren Zeiten: „Die fetten Jahre sind vorbei“

Berlin · Vor dem Spitzentreffen von Arbeitgebern und Gewerkschaftern mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft, steuerliche Vergünstigungen und mehr staatliche Hilfen für bedürftige Menschen gefordert. Die Erwartungen an die „konzertierte Aktion“ sind jedoch begrenzt.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.

Foto: dpa/Bernd Weissbrod

„Es muss eine Mischung werden aus vielleicht steuerlichen Vergünstigungen, aus Erhöhungen von Transferleistungen für die wirklich Bedürftigen“, sagte Dulger am Mittwochabend vor Journalisten. „Das müssen wir diskutieren. Es wird nicht eine Lösung geben. Es werden viele kleine Schritte gemacht werden müssen.“ Aus der Tarifpolitik müsse sich der Staat jedoch heraushalten.

Scholz hat Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften am Montagnachmittag ins Kanzleramt zu einer „konzertierten Aktion“ eingeladen, um über gemeinsame Schritte gegen eine Inflationsbeschleunigung zu sprechen. Der Kanzler will eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale verhindern, bevor im Herbst wichtige Tarifrunden beginnen. Die Sozialpartner haben im Vorfeld jedoch betont, dass die Tarifautonomie gewahrt bleiben müsse. Der Staat könne den Tarifpartnern keine lohnpolitischen Vorgaben machen. Die Erwartungen an die konzertierte Aktion sind entsprechend gering.

Der Arbeitgeberchef sieht auf Deutschland schwere Zeiten zukommen. Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme, Pandemie, Fachkräftemangel, Klimakrise – die Liste der Herausforderungen lasse sich noch fortsetzen. „Die fetten Jahre sind jetzt erstmal vorbei“, so Dulger. Deutschland sei viele Jahre durch eine „Wohlstands- und Wohlfühloase“ getaumelt. „Aber damit ist jetzt Schluss“, sagte Dulger. „Wir müssen jetzt gemeinsam immer häufiger darüber reden: Was tun wir, dass unsere Wirtschaft weiter am Laufen bleibt?“ Deutschland sei nur stark, wenn die Wirtschaft stark sei.

Die Auftragsbücher seien derzeit voll, doch wegen der Lieferprobleme könnten Unternehmen sie nicht abarbeiten. Viele stünden bereits vor dem Aus. „Diese Form der Krise kannten wir nicht. Mein Wissensschatz reicht dafür nicht aus“, sagte Dulger, der selbst in Heidelberg ein Metall-Unternehmen führt. Der zunehmende Mangel an Fachkräften bedeute Wohlstandsverluste, weil das Land schlicht nicht mehr so viel produzieren könne. Wenn die Babyboomer-Generation in Rente gehe, verließen pro Jahr bis zu 700.000 Erwerbstätige den Arbeitsmarkt, die nicht durch Zuwanderung oder mehr Frauen-Erwerbstätigkeit ersetzt werden könnten.

Gegen die Inflation müsse die Europäische Zentralbank (EZB) beherzter angehen. Die Notenbank sei zwar unabhängig. „Aber man kann ja zumindest mal höflichst drum bitten, dass die Geldmenge im Markt reduziert wird, dass die Zinsen erhöht werden. Dass all diese Inflationsbremsen, die wir so kennen aus der Theorie, auch gezogen werden“, sagte Dulger an die Adresse von Scholz.

Er zeigte sich verärgert über einen eintägigen Warnstreik der Verdi-Mitglieder im Tarifkonflikt mit dem Zentralverband der Seehafenbetriebe. „Auf gar keinen Fall bin ich dafür, das Streikrecht einzuschränken“, sagte Dulger zwar. Ihm habe es aber sehr missfallen, dass in Seehäfen gestreikt worden sei in einer Zeit gestörter Lieferketten, in der alle händeringend die Materialien bräuchten, die in Seehäfen lagerten. „Gibt es vielleicht so etwas in Zukunft wie einen nationalen Notstand, der dann auch Streikrecht bricht?“, fragte Dulger – und rührte damit an eine heilige Kuh des deutschen Arbeitsrechts.

(mar/rtr/dpa)
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