Sondertribunal könnte russische Ukraine-Verbrechen anklagen Ein Gericht über Putins Aggression

Wer kann die russischen Kriegsverbrechen wirklich anklagen? Außenministerin Annalena Baerbock schlägt ein Sondertribunal mit internationalen Richtern und ukrainischen Rechtselementen vor. Doch die Idee hat einen Pferdefuß. Wladimir Putin wäre damit kaum zu fassen

Außenministerin Annalena Baerbock (hier mit dem Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofes, Piotr Hofmanski) wirbt für ein Ukraine-Sondertribunal über die russische Aggression

Außenministerin Annalena Baerbock (hier mit dem Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofes, Piotr Hofmanski) wirbt für ein Ukraine-Sondertribunal über die russische Aggression

Foto: dpa/Christophe Gateau

Wer hat den Raketenbeschuss auf ein Wohnhaus in Dnipro mit Dutzenden Toten befohlen? Wer hat in Butscha das Abschlachten wehrloser Zivilisten, denen die Hände mit Kabelbindern hinter dem Rücken zusammengebunden waren, angeordnet? Irgendwann wird der Krieg in der Ukraine vorbei sein. Irgendwann wird die juristische, die völkerrechtliche Aufarbeitung solcher Kriegsverbrechen beginnen. Der Befehlskette nach: von oben nach unten. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag ermittelt bereits und lässt Beweise sammeln. Doch seine Möglichkeiten sind begrenzt. Das verhindern Hürden, die im Gründungsvertrag für dieses Gericht, dem Römischen Statut, festgelegt sind. Russland hat – wie auch die Ukraine selbst und auch die USA – dieses Römische Statut nie unterschrieben beziehungsweise nie ratifiziert. Eine Anklage gegen die russische Führung müsste deshalb den Weg über eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nehmen, der wiederum dem Internationalen Strafgerichtshof den Auftrag erteilen müsste, Ermittlungen gegen Russland aufzunehmen. Ein solcher Auftrag gilt als extrem unwahrscheinlich, eigentlich ausgeschlossen, weil Russland als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ein Veto-Recht besitzt und niemals eine Anklage gegen Einzelpersonen seiner Führung zuließe.

Das weiß auch Außenministerin Annalena Baerbock, die Völkerrecht studiert hat. Baerbock wirbt deshalb – auch nach Gesprächen mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba – für ein noch einzurichtendes Ukraine-Sondertribunal, das dann gegen Verbrechen der Aggression ermitteln soll. Die Grünen-Politikerin hat dazu Mitte Januar auch eine Grundsatzrede gehalten – symbolisch in Den Haag, der Stadt, in der IStGH seinen Sitz hat. Dieses Sondertribunal würde mit internationalen Richtern besetzt und nach ukrainischem Recht urteilen. Es hätte seinen Sitz außerhalb der Ukraine. Welcher Staat dafür in Frage käme? Antwort offen. Baerbock sieht eine „Lücke“ im Völkerrecht beim Verbrechen der Aggression, will aber den Internationalen Strafgerichtshof, der ein solches Delikt wegen der hohen Hürden kaum anklagen kann, aber nicht schwächen, sondern den IStGH stärken.

Ein Ukraine-Sondertribunal hätte, egal wo sein Sitz wäre, aber einen Pferdefuß, was auch Baerbock weiß. Denn: Die sogenannte „Troika“ eines Staates -- in diesem Fall Präsident Wladimir Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow – könnten wegen des Schutzes ihrer Immunität vor diesem Tribunal nicht angeklagt werden. Dies wäre dann voraussichtlich erst nach Ende ihrer Amtszeit möglich. Wann eine solche Amtszeit bei Putin endet? Weiß heute niemand. Und sollten Putin und seine Führungsriege jemals vor diesem Sondertribunal angeklagt werden, gilt ihr physisches Erscheinen vor diesem Gericht als praktisch ausgeschlossen. Eine Auslieferung Putins durch Russland gehört quasi ins Reich edler Völkerrechtswünsche.

Linke-Außenpolitiker Gregor Gysi sieht aktuell keine Chancen, ein Ukraine-Sondertribunal zur Ächtung russischer Verbrechen der Aggression einzurichten wie es Baerbock angeregt hat. Gysi sagte unserer Redaktion: „Der Vorschlag von Außenministerin Baerbock, das Sondertribunal nach ukrainischem Recht stattfinden zu lassen, wird weder in der EU noch international Zustimmung finden.“ CDU-Rechtspolitiker Günter Krings sprach sich für ein internationales Sondertribunal aus, „wenn wir den Strafttatbestand des Angriffskrieges im Völkerrecht nicht sang- und klanglos beerdigen wollen“. Krings sagte unserer Redaktion: „Deshalb brauchen wir ein echtes internationales Sondertribunal, für das sich viele Staaten und unter anderem auch das Europäische Parlament schon längst ausgesprochen haben. Deutschland muss da jetzt nachziehen.“

Baerbock verweist auf Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta, in der es heißt: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Russland habe dieses „zentrale Prinzip“ der UN-Charta, das Gewaltverbot, auf brutale Art und Weise durch seinen Angriffskrieg auf die Ukraine attackiert und gebrochen. Die deutsche Außenministerin will in diesem Krieg aber keine Bankrotterklärung für das Völkerrecht sehen. Baerbock sagt auch, ein Sondertribunal wäre „keine ideale Lösung“, sondern gemacht für diesen Sonderfall. Denn nach bisherigem Völkerrecht kann der Internationale Strafgerichtshof bei Verbrechen der Aggression nur ermitteln, wenn beide Staaten -- Täter- und Opferstaat, also Russland und die Ukraine – sich der Gerichtsbarkeit des IStGH unterworfen haben. Die Ukraine hat dies in einer Ad-hoc-Entscheidung nach der Annexion der Krim getan. Russland nicht. „Lücke im Völkerrecht“. Deswegen jetzt der Versuch, über ein Sondertribunal russische Verbrechen der Aggression anzuklagen. Als Signal an die Welt.

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