Über vier Krisen, Geduld im Ertragen – und die Raute Angela Merkel – was bleibt von 16 Jahren im Kanzleramt?

Berlin · Heute ist Olaf Scholz (SPD) zum Kanzler gewählt worden. Damit gehen 16 Jahre Angela Merkel als Regierungschefin zu Ende. Ein Rückblick.

Über viele Jahre hinweg war die Raute Angela Merkels Markenzeichen. „Es zeigt vielleicht eine gewisse Liebe zur Symmetrie“, erklärte sie einst der Zeitschrift Brigitte diese Handhaltung.

Über viele Jahre hinweg war die Raute Angela Merkels Markenzeichen. „Es zeigt vielleicht eine gewisse Liebe zur Symmetrie“, erklärte sie einst der Zeitschrift Brigitte diese Handhaltung.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Angela Merkel hat den Rekord von Helmut Kohl am Ende ganz knapp verfehlt – am 18. Dezember wäre sie exakt so lange im Amt gewesen wie ihr CDU-Vorgänger. Mit der Vereidigung von Olaf Scholz an diesem Mittwoch ist die Ära von Kanzlerin Merkel Geschichte. Aus der Tagespolitik dürfte sich die 67-Jährige wohl zurückziehen. Was bleibt von 16 Jahren im Kanzleramt?

Vier Krisen

Die Finanz-, die Euro-, die Flüchtlings- und am Ende die Corona-Krise fallen in Merkels Amtszeit. In der Wahrnehmung erscheint wohl immer die aktuelle Krise als die größte – gegenwärtig also der Umgang mit der Pandemie. Doch alle vier Krisen haben Merkels Regierungszeit geprägt wie sonst wenige Ereignisse – abgesehen vielleicht von der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011. Damals vollzog Merkel einen Kurswechsel in ihrer Atompolitik. Sehr schnell beschloss das Kabinett in der Folge den schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft. National und international wird von Merkel der Ruf als Krisenkanzlerin bleiben. Doch nicht immer stand sie nur glänzend da: Die Flüchtlingskrise sorgte für ein massives Zerwürfnis mit der CSU und einen Einbruch in den Umfragewerten. Letztlich in deren Folge stellte Merkel 2018 den CDU-Vorsitz zur Verfügung. In der Corona-Krise bescheinigen Kritiker auch der Kanzlerin ein Versagen. Doch hier dürfte vor allem ihr ständiges Ringen um härtere Maßnahmen mit den Ministerpräsidenten und ihr Ruf als Warnerin im Gedächtnis bleiben. Beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr zu ihrem Abschied am vergangenen Donnerstag zählte die Kanzlerin die verschiedenen Krisen auf. Und verband dies mit der Mahnung, „wie unverzichtbar internationale Institutionen und multilaterale Instrumente sind, um die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen zu können – den Klimawandel, die Digitalisierung, Flucht und Migration“. Überdauern dürfte Merkels Amtszeit auch ihr Einsatz für Afrika, die Frauenrechte und die internationale Gesundheit.

Umgang mit den schwierigen Mächtigen

Angela Merkel und das Saarland – die schönsten Bilder aus 16 Jahren
22 Bilder

Angela Merkel und das Saarland – die schönsten Bilder aus 16 Jahren

22 Bilder
Foto: BeckerBredel

Im Kreis der Europäer wird wohl die Erinnerung an lange Brüsseler Verhandlungsnächte bleiben, bei der die überzeugte Europäerin Merkel versuchte, schier unüberbrückbare Gegensätze zusammenzuführen. Ihre Überzeugung, dass es selbst mit den schwierigsten internationalen Staats- und Regierungschefs besser ist, im Gespräch zu bleiben, als die Kontakte abreißen zu lassen, könnte auch für ihren Nachfolger Scholz Vorbild sein. Das galt bei Merkel für den Umgang mit dem mächtigen Russen Wladimir Putin genauso wie für den Chinesen Xi Jinping, den Türken Recep Tayyip Erdogan oder den damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert bescheinigte der scheidenden Kanzlerin zum Jahrestag ihrer ersten Vereidigung am 22. November 2005: „Angela Merkel hat viele Stärken. Besonders herausragend ist dabei ihre beinahe schon übermenschliche Geduld im Ertragen auch der abwegigsten Positionen nationaler und internationaler Partner.“

Die Unprätentiöse

Immer galt die Kanzlerin als uneitel und unbestechlich. Als größter Luxus erschien das Wochenendhaus bei Templin bei Berlin, wo sich Merkel gerne beim Gärtnern von den Anstrengungen der Regierung erholte.

Die Raute

Weltberühmt und untrennbar mit Merkel verbunden sind ihre bei öffentlichen Auftritten oft zur Raute geformten Hände. Schon 2013 hatte sie der Zeitschrift Brigitte verraten, wie diese Haltung zustande gekommen ist: „Es war immer die Frage, wohin mit den Armen. Es zeigt vielleicht eine gewisse Liebe zu Symmetrie“, sagte die Physikerin damals.

Der Übergang

Als vorbildlich auch für künftige Kanzler dürfte die Art des Übergangs zu Scholz in Erinnerung bleiben. Ohne Gepolter wie beim Wechsel von SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu Merkel 2005 vollzog die scheidende Kanzlerin seit der Bundestagswahl den Wechsel. Der Süddeutschen Zeitung sagte sie schon im Oktober auf die Frage, ob sie ruhig schlafen könne bei der Vorstellung, dass künftig wieder ein Sozialdemokrat das Land regiere: „Es wird politische Unterschiede geben, das ist ja ganz selbstverständlich. Aber ich kann ruhig schlafen.“

Abschied und Zukunft

Merkel schaffte es, selbstbestimmt den Zeitpunkt für den Abschied von der Politik zu wählen. Beim Großen Zapfenstreich zog sie Bilanz: Die 16 Jahre als Kanzlerin seien oft sehr herausfordernde Jahre gewesen. „Sie haben mich politisch und menschlich gefordert. Und zugleich haben sie mich immer auch erfüllt.“ Merkel zeigte sich „überzeugt, dass wir die Zukunft auch weiterhin dann gut gestalten können, wenn wir uns nicht mit Missmut, mit Missgunst, mit Pessimismus, sondern mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit machen.“

Und was macht Merkel in Zukunft? Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte sie kürzlich: „Jetzt schaue ich, dass ein paar Sachen folgen, die als Bundeskanzlerin etwas zu kurz kamen, vielleicht etwas reisen oder lesen oder einfach mal Muße haben in dem Wissen, dass nicht in den nächsten zwanzig Minuten schon wieder etwas Umwälzendes passieren kann. Darauf freue ich mich.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort