Abgasskandal BGH stärkt Diesel-Klägern in Verjährungsfragen den Rücken

Karlsruhe/Berlin · Vom Abgasskandal betroffene Autokäufer haben grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz von VW. Aber beim Klagen sind Fristen einzuhalten. Rund 20.000 Fälle stehen deshalb noch auf der Kippe. Verbraucherschützer begrüßen das Urteil.

Der VW-Abgasskandal beschäftigt seit Jahren unterschiedliche Instanzen.

Der VW-Abgasskandal beschäftigt seit Jahren unterschiedliche Instanzen.

Foto: dpa/Uli Deck

Im VW-Dieselskandal stärkt der Bundesgerichtshof (BGH) Klägern den Rücken, deren Schadenersatz-Ansprüche durch Verjährung bedroht sind. Die Karlsruher Richterinnen und Richter entschieden am Donnerstag, dass Gerichte betroffenen Autokäufern nicht allein wegen der breiten Medienberichterstattung damals unterstellen dürfen, sie hätten noch im Jahr 2015 von dem Abgasbetrug bei Volkswagen erfahren. Außerdem erklärten sie es für legitim, sich nur deshalb zeitweise zu einer Musterfeststellungsklage anzumelden, damit man mehr Zeit für die Vorbereitung einer eigenen Schadenersatz-Klage hat. (Az. VI ZR 1118/20)

Dass Millionen Diesel-Autos von VW mit manipulierter Abgastechnik unterwegs waren, um vorgeblich die Grenzwerte für Schadstoffe einzuhalten, war im September 2015 ans Licht gekommen. Der Wolfsburger Autobauer hatte seine Aktionäre und die Öffentlichkeit erstmals am 22. September informiert.

Nach einem Grundsatz-Urteil des BGH aus dem Mai 2020 haben betroffene Klägerinnen und Kläger prinzipiell Anspruch auf Schadenersatz von VW. Schadenersatz-Ansprüche verjähren allerdings nach drei Jahren. Klagen hätten also spätestens Ende 2018 erhoben werden müssen. Unter einer Voraussetzung: dass der Kläger 2015 schon wusste, dass auch sein Auto den Skandalmotor EA189 hat, oder „ohne grobe Fahrlässigkeit“ davon hätte wissen müssen, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt.

Laut VW laufen noch ungefähr 20.000 Verfahren, in denen erst 2019 oder noch später geklagt wurde. Und oft ist vor Gericht umstritten, was die Klägerin oder der Kläger 2015 schon wusste.

Auch in dem Fall aus Sachsen-Anhalt, der jetzt in Karlsruhe entschieden wurde, hatte der Diesel-Käufer erst 2019 geklagt. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hatte die Klage für verjährt erklärt: Im vierten Quartal 2015 seien alle wesentlichen Informationen an die Öffentlichkeit gelangt.

Nach dem BGH-Urteil hätte das OLG daraus aber nicht einfach folgern dürfen, dass auch der Kläger damals schon von dem Skandal wusste. Niemand sei zu Medienkonsum verpflichtet, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Das OLG muss den Fall nun neu prüfen.

Volkswagen teilte mit, man gehe davon aus, dass die Klage erneut abgewiesen werde. „Grundsätzlich sind die Hürden hoch, um erfolgreich zu behaupten, man habe den sog. Dieselskandal nicht wahrgenommen.“

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller begrüßte die Entscheidung des BGH: „Mit diesem Urteil stärkt der Bundesgerichtshof das Instrument der Musterfeststellungklage und schafft Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher – über den Einzelfall hinaus“, sagte er. „Die Musterfeststellungsklage soll Verbrauchern ein einfaches Instrument zur Verjährungshemmung an die Hand geben. Dazu trägt das Urteil des Bundesgerichtshofs bei“, so Müller. Die Vorinstanz habe verlangt, dass neben der Klageerhebung durch einen Verband auch die individuelle Anmeldung durch die Verbraucher zum Klageregister im nicht-verjährten Zeitraum erfolgen müsse. „Es ist erfreulich, dass sich der BGH dieser Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg nicht angeschlossen hat. So ist gewährleistet, dass Verbraucher genug Zeit für die Entscheidung haben, sich einer Musterfeststellungsklage anzuschließen“, sagte Müller. „Auch dem Vorwurf von Volkswagen und einigen Gerichten, die Verbraucher hätten sich ausschließlich zur Verjährungshemmung angemeldet und damit rechtsmissbräuchlich gehandelt, ist der Bundesgerichtshof mit begrüßenswerter Klarheit entgegengetreten“, so der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv).

(jd/dpa)
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