Bundestag debattiert Welche Schwächen hat das Grundgesetz?

Berlin · 70 Jahre nach Inkrafttreten der Verfassung hat der Bundestag über den so wichtigen Text aus dem Jahr 1949 debattiert.

 Bundestagsdebatte zu 70 Jahren Grundgesetz: Die Parteien sehen an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf.

Bundestagsdebatte zu 70 Jahren Grundgesetz: Die Parteien sehen an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Keine Feierstunde, keine Blümchen. Zwar sitzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nebst Gattin auf der Tribüne, doch unten findet zum 70. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes eine ganz normale Debatte um die Verfassung der Deutschen statt.

Zwar würdigen alle Redner, dass das Grundgesetz dem Land Demokratie, Freiheit und Wohlstand gebracht hat, es geht aber auch um die Schwächen des vom Parlamentarischen Rat am 23. Mai 1949 verabschiedeten Textes. Eine ganz simple nennt FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann, selbst Jurist. In Polen zum Beispiel seien missliebige Richter über simple Verfahrensänderungen wie die Absenkung der Altersgrenze oder andere Tricks aus ihren Ämtern entfernt worden. „Wäre das auch bei uns möglich?“, fragt Buschmann und antwortet selbst: „Ja“. Also müsse man hier über Nachbesserungen nachdenken.

Zwar gibt AfD-Chef Alexander Gauland ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz ab („Eine neue und bessere Verfassung werden wir nicht bekommen“), doch spielt das Erstarken der Rechtspopulisten in vielen Beiträgen der anderen Redner eine Rolle. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus zum Beispiel sagt, das Grundgesetz sei ein „umfassendes Nie wieder“ aus den Erfahrungen mit der Nazi-Zeit. Dazu gehöre auch eine klare Absage an eine destruktive Parlamentsarbeit. Hintergrund: Just an diesem Donnerstag wird eine Nachtsitzung bis zum frühen Freitagmorgen erwartet, weil die AfD das übliche „Zu Protokoll geben“ von Reden zu später Stunde nicht mehr mitmacht – Teil des „Krieges“, den Gauland erklärt hat, weil die anderen Parteien bisher jeden AfD-Kandidaten für den Posten des stellvertretenden Bundestagspräsidenten haben durchfallen lassen.

Brinkhaus äußert die Sorge, dass Verdruss an der Politik die Basis der Demokratie aushöhlen könnte. Wie damit umzugehen ist, sagt er freilich nicht. Er macht nur den Vorschlag, noch einmal eine Föderalismuskommission einzurichten. Dort solle es um klarere Zuständigkeiten und eindeutigere Finanzierungsregeln zwischen Bund und Ländern gehen. Auch sollten die Abstimmungsregeln im Bundesrat reformiert werden.

FDP-Chef Christian Lindner geht freudig auf den Vorschlag ein – er will dann aber auch den Ländern einen Teil ihrer Bildungshoheit nehmen und gleichzeitig mehr Wettbewerbsföderalismus schaffen, bis hin zu regionalen Hebesätzen bei der Einkommenssteuer. Man ahnt bei diesen Beiträgen, dass es bei den bisher 63 Grundgesetzänderungen seit 1949 nicht bleiben wird.

Angela Merkel, die nicht in die Debatte eingreift, lässt sich nach 45 Minuten von einer Saalhelferin ein Exemplar des Grundgesetzes bringen, wohl um einige Artikel, die von den Rednern erwähnt werden, noch einmal genau nachzulesen.

SPD-Chefin Andrea Nahles lobt die „Schönheit der Sprache“ des 70 Jahre alten Werkes und nennt als Reformbedarf nur die Einfügung der Kinderrechte. „Da ist noch Platz für einen kurzen, klaren Satz.“ Ansonsten fordert sie, dass sich die Politik in der Praxis mehr an die Vorgaben halten solle. „Es liegt nicht am Grundgesetz, es liegt an der Umsetzung“, sagt die Sozialdemokratin und schlägt zum Beispiel Paritätsregelungen für Kandidatenlisten vor, um der Gleichstellung von Frauen und Männern auch in den Parlamenten Geltung zu verschaffen.

Der Vorsitzende der SPD-Jungsozialisten, Kevin Kühnert, ist zwar gar nicht anwesend, aber verantwortlich für einen weiteren wichtigen Teil der Debatte. Wie sozial oder gar sozialistisch ist das Grundgesetz? Kühnerts Vorschlag, Großkonzerne zu enteignen, hat die FDP mobilisiert. Sie will den Artikel 15, der die Verstaatlichung von Grund und Boden erlaubt, ersatzlos streichen. Das sei aus dem damaligen Zeitgeist formuliert worden, erklärt Lindner. Das Grundgesetz müsse nicht nur hier aktualisiert werden. So sei zum Beispiel auch das Internet nicht erwähnt.

Heftige Gegenwehr kommt von Links-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Die Reaktionen in der Enteignungsdebatte seien „hysterisch“, sagt er. Es gehe nur darum, „zu vergesellschaften, wenn andere Systeme versagen“. Die eigentliche Gefahr für den sozialen Charakter der Verfassung gehe eher vom Neoliberalismus aus. Etwas weniger hart formuliert es später Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die den Klimaschutz in die Verfassung aufnehmen will: „Es geht um den Ausgleich zwischen Individuum und Gemeinsinn.“

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