Krisengipfel in Ankara Idlib – und die permanente Angst vor der Eskalation

Damaskus · Wenn Syriens Regierungstruppen die Rebellenhochburg einnehmen, droht eine Massenflucht. Kann ein Krisengipfel der Großmächte das Schlimmste verhindern?

  Er befürchtet, dass Tausende aus der Rebellenburg Idlib in sein Land fliehen: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Er befürchtet, dass Tausende aus der Rebellenburg Idlib in sein Land fliehen: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa/Pavel Golovkin

(dpa) In wenigen Wochen beginnt für die Flüchtlinge in Syriens letztem großen Rebellengebiet Idlib wieder die Zeit, in der sie besonders leiden müssen. Überall auf Feldern entlang der Straßen im Nordwesten des Bürgerkriegslandes hausen Zehntausende, vielleicht Hunderttausende, in Zelten aus Plastik und anderen Verschlägen. Ihre Lage ist jetzt schon dramatisch.

Umso gebannter verfolgt die Welt das Treffen an diesem Montagabend: Die Staatschefs Russlands, der Türkei und des Iran kommen zum Gipfel in Ankara zusammen. Während Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Hassan Ruhani über die Situation in Idlib beraten, geht das Leid der Menschen weiter. Rund drei Millionen Menschen leben dort, mehr als die Hälfte Vertriebene, die vor den Truppen von Machthaber Baschar al-Assad und der Gewalt geflohen sind. Ihr Schicksal hängt insbesondere von einer Gruppe ab, die die Region dominiert: von der militanten islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), einst ein Al-Kaida-Ableger.

Es ist nicht das erste Mal, dass die drei Schutzmächte der syrischen Konfliktparteien nach einer Lösung für Idlib suchen. Im September einigten sich Putin und Erdogan auf eine Pufferzone. Sie sollte eine Regierungsoffensive verhindern, woran vor allem die Türkei Interesse hat. Ankara befürchtet einen Flüchtlingsansturm auf die Grenze, sollten die Truppen von Baschar al-Assad vorrücken.

Doch wie so viele Abkommen scheiterte auch dieses. Ankara habe gedacht, dass sie genügend Einfluss auf die HTS habe, sagt der türkische Analyst Fehim Tastekin. Die Rechnung der Türkei sei jedoch nicht aufgegangen. Schwere Waffen habe die HTS nur zum Schein abgezogen.

Im April begannen Assads Truppen, unterstützt von Russland, mit einer Offensive auf Idlib. Dort, so heißt es aus Damaskus und Russland, würden „Terroristen“ bekämpft. Zuletzt konnten Regierungsanhänger wichtige Gebiete einnehmen.

Indes wächst der Druck auf die HTS. Seit mehreren Tagen kursieren Meldungen, die Türkei wolle sie zur Auflösung drängen, um Russland und Syrien einen Vorwand für weitere Angriffe zu nehmen. Geht die Regierungsoffensive in Idlib weiter, könnten Hunderttausende in Richtung Türkei – und von dort aus weiter Richtung Europa – fliehen. Die Türkei hat bereits mehr als 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.

Russland steht in Syrien treu an Assads Seite, hat dort zwei Militärstützpunkte. Der Iran ist Assads zweiter wichtiger Verbündeter. Beim Streitthema Idlib wird Ruhani erneut für eine friedliche Lösung plädieren, aber mit Bedingungen. Der Iran sei bereit, zwischen den Türken und Syrern zu vermitteln.

Kann es der Türkei gelingen, einen Ausweg zu finden, etwa indem sich HTS auflöst? Analyst Testekin sagt, Erdogan versuche verzweifelt, die Militäroperationen zu stoppen, habe aber keine Karten in der Hand. Er geht davon aus, dass Russland und die syrische Regierung weitere Gebiete in Idlib unter ihre Kontrolle bringen. Assads Anhänger haben in sozialen Medien bereits den Beginn neuer Angriffe angekündigt. Für den Aktivisten aus Idlib wäre es ein Albtraumszenario: „Die Menschen haben keinen anderen Ort, an den sie gehen können. Es wird sicherlich einen großen Strom in die Türkei geben. Die Menschen werden die Grenzmauer einreißen, weil sie um ihr Leben rennen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort