In Frankreich ebbt die Welle gegen Le Pen ab

Paris · "Eine Welle, die Nein sagt zu Le Pen", zeigte der Fernsehsender France 2 am 1. Mai 2002. Mehr als eine Million Menschen hatten damals im ganzen Land gegen Jean-Marie Le Pen demonstriert, der überraschend gegen Jacques Chirac in die Stichwahl um das Präsidentenamt gekommen war. Den traditionellen Kundgebungen der Gewerkschaften am Tag der Arbeit schlossen sich alle an, die ein Zeichen gegen den Nationalismus setzen wollten. "Es herrschte eine festliche Atmosphäre", erinnert sich ein Familienvater, der mit seinen drei Kindern in Paris auf die Straße gegangen war.

15 Jahre später steht mit Marine Le Pen wieder eine Kandidatin des Front National (FN) in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl, doch der Protest ist deutlich leiser geworden. Das Votum für Le Pens Gegner Emmanuel Macron ist im Gegensatz zu 2002 keine natürliche Reaktion mehr auf die Bedrohung durch den Rechtspopulismus. Wie gespalten vor allem die französische Linke in ihrer Haltung vor der zweiten Runde ist, zeigte sich gestern. Die Gewerkschaften zogen in getrennten Kundgebungen durch Paris, weil sie sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten. Während die gemäßigte Gewerkschaft CFDT klar zum Votum für den ehemaligen Wirtschaftsminister Macron aufrief, sprach sich die kommunistische CGT lediglich gegen den Front National aus. "Weder Faschismus noch Finanz" stand auf einem Spruchband.

Die Haltung des "Weder - Noch" ist auch bei vielen Jugendlichen zu finden, die 2002 massiv gegen Le Pen senior protestiert hatten.

Der legendäre Song "La Jeunesse emmerde le Front National" (Die Jugend schickt den Front National zum Teufel), mit dem sie damals auf die Straße gegangen waren, scheint vergessen. Statt dessen riefen junge Demonstranten noch am Abend des ersten Wahlgangs dazu auf, am 7. Mai nicht abzustimmen oder einen leeren Stimmzettel abzugeben.

Eine Figur, mit der sich fast ein Drittel der jugendlichen Wähler identifizieren kann, ist der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon. 2002 hatte der Exzentriker, der in der ersten Runde rund sieben Millionen Stimmen bekam, noch offen für Chirac und gegen Le Pen geworben. Von einer so klaren Stellungnahme ist der 65-Jährige heute weit entfernt. In einem Videostatement wandte er sich am Freitag gegen beide Präsidentschaftskandidaten. "Es ist nicht hinnehmbar, einen fortschrittlich orientierten Kandidaten und die Chefin einer reaktionären und ausländerfeindlichen Partei auf eine Stufe zu stellen", kritisierte die Zeitung "Le Monde" die Haltung Mélonchons. Der ging gestern zwar gegen den FN auf die Straße. Im Gegensatz zu 2002 winkte er aber nur stumm in die Menge.

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