In Baltimore drohen neue Unruhen

Baltimore · In Baltimore stehen sich Polizei und Demonstranten gegenüber. Hintergrund der Spannungen ist der Tod des 25-jährigen Afroamerikaners Freddie Gray, der am Montag beerdigt worden war. Er starb durch Polizeigewalt.

Aaron Collins hat frei genommen. Sleepy's, eine Matratzenmarke, muss für einen Tag ohne ihren Filialleiter in West-Baltimore auskommen. Collins hat Wichtigeres zu tun, er versucht, den Frieden zu wahren. Hoch konzentriert steht er vor einer Reihe blau uniformierter Polizisten, den wachen Blick auf eine demonstrierende Menschenmenge gerichtet, als wäre er selber ein Ordnungshüter.

Nur dass die Menge nicht wirklich demonstriert, sondern eher ein Volksfest feiert. Vor einer Baptistenkirche namens Simmons Memorial singt ein ungemein lautstarker, großartig rhythmischer Gospelchor vom Herrgott, der hoch im Himmel schwebt. Es ist, als wollte Baltimore sie durch gute Laune und hohe Dezibelstärken vertreiben, die bösen Geister der Nacht.

Aber die Stimmung, weiß Collins, kann jederzeit kippen. Dann schreiten sie ein, er und die drei Dutzend Männer, die sich vor den Uniformierten aufgebaut haben wie eine menschliche Mauer. Sportlertypen, groß und kräftig, alle schwarz.

Nein, meint der 31-Jährige, leicht falle es ihm nicht, eine schützende Wand vor den Cops zu bilden. Dazu hätten sie ihn zu oft schikaniert, ihn wegen irgendwelcher Lappalien angehalten, etwa, als er Teenager war. "Aber glaubst du, es bessert sich was, wenn wir unser Viertel abfackeln? Da drüben, das CVS, das baut keiner mehr auf, das wird ein Mom-and-Pop-Shop, sonst nichts." CVS, Amerikas größte Drogeriekette, ist in Sandtown-Winchester, dem Problemviertel der Stadt, vorläufig nicht mehr vertreten. Wo einmal Schaufenster waren, gibt es nur noch versengte Metallrahmen. Falls Collins recht hat, dann wird hier keine der großen Ketten mehr ein Risiko eingehen, dann macht hier irgendwann höchstens ein Tante-Emma-Laden auf. Mom and Pop, wie Amerikaner sagen. Es wäre noch ein Symbol für den scheinbar unaufhaltsamen Abstieg von Sandtown-Winchester.

Pure Tristesse verströmt es nicht, das Viertel, aus dem Freddie Gray stammte, der 25-Jährige, der in einer Klinik starb, nachdem ihn Polizisten festgenommen hatten. Sanfte Hügel, lange Straßenzüge mit zwei- und dreistöckigen Reihenhäusern, oft geschmackvoll angemalt in zarten Pastelltönen. Eigentlich Postkartenbilder. Nur dass sich in den Seitenstraßen die Zahl der Ruinen häuft. Warum Baltimore wie ein Kessel explodierte, "explodierten musste", illustriert die Soziologiestudentin Temple Stokes mit einer Metapher. "Das ist wie mit einer Katze, die du immer nur in die Ecke drängst, ohne ihr Futter zu geben. Irgendwann springt sie dich an."

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