Im Kanzleramt liegen die Nerven blank

Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) sagte gestern alle vorher geplanten Termine ab, dafür gab es eine Sondersitzung des Kabinetts, ein Gespräch mit Österreichs Kanzler Werner Faymann und abends ein Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Denn trotz der am Sonntag begonnenen Grenzkontrollen zu Österreich hat sich die Lage kaum entspannt. Allein 20 000 Asylbewerber kamen am Montag in Österreich an, gestern kamen Tausende hinzu. Am Salzburger Bahnhof kam es zu Tumulten, meldete die österreichischen Agentur Apa. In Berlin rechnet man zudem damit, dass sich die Flüchtlinge nach dem vollständigen Schließen des ungarisch-serbischen Grenzzauns sehr bald andere Wege suchen werden. Es gebe allenfalls eine Atempause für das überforderte München, weil die Flüchtlinge nach Wiedereinführung der Kontrollen nun schon früher aufgegriffen und auf die Bundesländer verteilt würden, hieß es in Regierungskreisen. Zurückgewiesen wurde an der Grenze auch gestern niemand, der Asyl begehrte. Die Atempause nutzten die Verantwortlichen, um sich zu reorganisieren. In der Runde mit den Ministerpräsidenten wurde erörtert, ob es neben München weitere Hauptverteilpunkte geben soll und welche. Berlin-Schönefeld und Soltau-Fallingbostel waren im Gespräch. Außerdem ging es um die Mobilisierung von weiteren Flächen für die Erstunterbringung, auf Bundesliegenschaften oder in Kasernen. Und um zusätzliche Helfer. Auch einige tausend Bundeswehrsoldaten sollen zur Versorgung der Flüchtlinge zum Einsatz kommen. Das bot Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) an. Mangelnde Koordination war bisher einer der Hauptvorwürfe gewesen. Jetzt fand die Koordinierung statt. Unter Leitung der Kanzlerin selbst. Der ursprüngliche geplante Flüchtlingsgipfel mit den Ländern am 24. September kommt trotzdem. Merkel ließ das Kabinett zuvor in einer Sondersitzung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) über den unerfreulichen Ausgang des Brüsseler Treffens der EU-Innenminister informieren. Vorerst, so der Reisebericht des Innenministers, sei von den anderen EU-Ländern keine Hilfe zu erwarten. Mit Österreichs Kanzler Werner Faymann , der kurzfristig angereist war, erörterte Merkel beim Mittagessen zunächst die Lage, ehe beide dann mit EU-Ratspräsident Donald Tusk telefonierten. Er möge, so die gemeinsame Bitte, den Gipfel der EU-Regierungschefs von Oktober auf nächste Woche vorziehen. Dabei soll es laut Merkel um Hilfe für Länder mit großen Flüchtlingslagern wie die Türkei gehen und um die Errichtung von so genannten Hotspots an den EU-Grenzen, also in Griechenland, Ungarn und Italien. Dort soll nach deutscher Vorstellung die Erstregistrierung erfolgen. Ein Recht, sich das Zielland selbst auszusuchen, gebe es nicht, so Merkel. Sie sagte dies auch mit Blick auf einen Vorfall in Sachsen-Anhalt: Rund 180 Flüchtlinge hatten einen Sonderzug von München nach Berlin per Notbremse mehrfach gestoppt - wohl, um sich Richtung Skandinavien aufzumachen und nicht in Deutschland registriert zu werden. Dass die Nerven inzwischen auch im Kanzleramt blank liegen, zeigten gestern zwei ungewöhnliche Vorgänge. So kritisierte die der Kanzlerin direkt unterstehende Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD ), dass Deutschland mit seinen "im Wochentakt unterschiedlichen Signalen" derzeit "kein gutes Bild" abgebe. Und auf die Frage, ob ihre jüngsten "Selfies" mit Flüchtlingen nicht auch eine Ermunterung für andere Asylbewerber seien, antwortete Merkel: "Wenn man sich entschuldigen muss, dass man in einer bestimmten Situation ein freundliches Gesicht zeigt, dann ist das nicht mein Land."

Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) sagte gestern alle vorher geplanten Termine ab, dafür gab es eine Sondersitzung des Kabinetts, ein Gespräch mit Österreichs Kanzler Werner Faymann und abends ein Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Denn trotz der am Sonntag begonnenen Grenzkontrollen zu Österreich hat sich die Lage kaum entspannt. Allein 20 000 Asylbewerber kamen am Montag in Österreich an, gestern kamen Tausende hinzu. Am Salzburger Bahnhof kam es zu Tumulten, meldete die österreichischen Agentur Apa. In Berlin rechnet man zudem damit, dass sich die Flüchtlinge nach dem vollständigen Schließen des ungarisch-serbischen Grenzzauns sehr bald andere Wege suchen werden. Es gebe allenfalls eine Atempause für das überforderte München, weil die Flüchtlinge nach Wiedereinführung der Kontrollen nun schon früher aufgegriffen und auf die Bundesländer verteilt würden, hieß es in Regierungskreisen.

Zurückgewiesen wurde an der Grenze auch gestern niemand, der Asyl begehrte. Die Atempause nutzten die Verantwortlichen, um sich zu reorganisieren. In der Runde mit den Ministerpräsidenten wurde erörtert, ob es neben München weitere Hauptverteilpunkte geben soll und welche. Berlin-Schönefeld und Soltau-Fallingbostel waren im Gespräch. Außerdem ging es um die Mobilisierung von weiteren Flächen für die Erstunterbringung, auf Bundesliegenschaften oder in Kasernen. Und um zusätzliche Helfer. Auch einige tausend Bundeswehrsoldaten sollen zur Versorgung der Flüchtlinge zum Einsatz kommen. Das bot Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) an.

Mangelnde Koordination war bisher einer der Hauptvorwürfe gewesen. Jetzt fand die Koordinierung statt. Unter Leitung der Kanzlerin selbst. Der ursprüngliche geplante Flüchtlingsgipfel mit den Ländern am 24. September kommt trotzdem. Merkel ließ das Kabinett zuvor in einer Sondersitzung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) über den unerfreulichen Ausgang des Brüsseler Treffens der EU-Innenminister informieren. Vorerst, so der Reisebericht des Innenministers, sei von den anderen EU-Ländern keine Hilfe zu erwarten. Mit Österreichs Kanzler Werner Faymann , der kurzfristig angereist war, erörterte Merkel beim Mittagessen zunächst die Lage, ehe beide dann mit EU-Ratspräsident Donald Tusk telefonierten. Er möge, so die gemeinsame Bitte, den Gipfel der EU-Regierungschefs von Oktober auf nächste Woche vorziehen. Dabei soll es laut Merkel um Hilfe für Länder mit großen Flüchtlingslagern wie die Türkei gehen und um die Errichtung von so genannten Hotspots an den EU-Grenzen, also in Griechenland, Ungarn und Italien. Dort soll nach deutscher Vorstellung die Erstregistrierung erfolgen. Ein Recht, sich das Zielland selbst auszusuchen, gebe es nicht, so Merkel. Sie sagte dies auch mit Blick auf einen Vorfall in Sachsen-Anhalt: Rund 180 Flüchtlinge hatten einen Sonderzug von München nach Berlin per Notbremse mehrfach gestoppt - wohl, um sich Richtung Skandinavien aufzumachen und nicht in Deutschland registriert zu werden.

Dass die Nerven inzwischen auch im Kanzleramt blank liegen, zeigten gestern zwei ungewöhnliche Vorgänge. So kritisierte die der Kanzlerin direkt unterstehende Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD ), dass Deutschland mit seinen "im Wochentakt unterschiedlichen Signalen" derzeit "kein gutes Bild" abgebe. Und auf die Frage, ob ihre jüngsten "Selfies" mit Flüchtlingen nicht auch eine Ermunterung für andere Asylbewerber seien, antwortete Merkel: "Wenn man sich entschuldigen muss, dass man in einer bestimmten Situation ein freundliches Gesicht zeigt, dann ist das nicht mein Land."

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HintergrundDie Zahl ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer steigt nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) dramatisch an. Alleine seit diesem Wochenende seien mindestens 72 Menschen bei dem Versuch gestorben, von der türkischen Küste aus eine griechische Insel zu erreichen, sagte ein Sprecher gestern. In der Nacht auf Dienstag seien mindestens 22 Flüchtlinge in der Ägäis ertrunken, darunter vier Kinder. 211 Insassen des gleichen Bootes wurden gerettet. Es hatte sich auf dem Weg zur Insel Kos befunden und war am frühen Morgen gekentert. Insgesamt sind demnach in diesem Jahr 2812 Flüchtlinge beim Versuch, über das Mittelmeer zu fliehen, gestorben. Der IOM-Statistik zufolge sind 2015 bislang fast 465 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa geflohen. epd

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