Der Pandemie-Erklärer wird immer beliebter „Wir wollen Karl“ – Lauterbach läuft Spahn den Rang ab

Berlin · Nach Beschimpfungen und Drohungen rollt jetzt im Netz eine Kampagne für den SPD-Politiker und Epidemiologen: Er soll das Gesundheitsministerium übernehmen.

 In der Corona-Pandemie immer vor den Fernseh-Kameras: Karl Lauterbach (SPD).

In der Corona-Pandemie immer vor den Fernseh-Kameras: Karl Lauterbach (SPD).

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Karl Lauterbach muss einiges aushalten. Der SPD-Gesundheitsfachmann wird beschimpft, beleidigt und bedroht, seit er wohl der gefragteste Experte in der Corona-Krise ist. Einer, der immerzu mahnt und warnt. Doch es gibt auch die andere Seite. Im Netz formiert sich derzeit eine Bewegung, die Lauterbach fast verehrt und ihn gerne zum Gesundheitsminister machen möchte: #WirWollenKarl. Amtsinhaber Jens Spahn (CDU) soll seinen Hut nehmen.

Kaum eine Woche vergeht, in der der 58-jährige SPD-Abgeordnete und Epidemiologe nicht in einer Talkshow sitzt. Am Mittwoch war er wieder in der Sendung von Sandra Maischberger, um im Tonfall des rheinischen Singsangs die Lage rund um den Impfstoff Astrazeneka zu erklären. Bei ZDF-Mann Markus Lanz, spotten selbst Parteifreunde, sei Lauterbach inzwischen Untermieter. Nicht jeder findet die Dauerpräsenz gut, es gibt auch unter den Genossen viele Neider. Doch Lauterbach, seit 2005 Bundestagsabgeordneter, agiert frei von parteipolitischen Zwängen. Er hat einen klaren Kurs – anders als andere in der Pandemie. 

Der Mann aus Düren beschönigt nichts, referiert emsig die Fakten und legt dann die Konsequenzen dar. Jede Corona-Studie scheint über seinen Schreibtisch gegangen zu sein – insbesondere die aus Harvard. Vor der Pandemie verriet er mal: „Ich bin ein Suchtleser und arbeite jede Nacht an Studien.“ Er kann freilich auch nerven. Seine Gegner werfen ihm vor, zu pessimistisch zu sein und stets nur härtere Maßnahmen gegen Corona zu fordern. Bisher hat Lauterbach aber oft Recht behalten mit seinen Vorhersagen und Warnungen, beispielsweise vor einer zweiten Welle, die er schon im April prognostizierte. 

Anfang der Woche tauchte nun bei Twitter die Frage an die Gemeinde auf: „Wollen wir nicht #WirWollenKarl oder #Karl4Gesundheitsminister trenden lassen?“ Seitdem ist die Welle losgerollt. Das sei eine richtig gute Idee, schrieb ein User. „Der Mann ist kompetent und rackert sich seit Monaten ab.“ Ein anderer meinte: „So einen interessierten Epidemiologen brauchen wir jetzt als Gesundheitsminister! Er ist der einzige, dem ich noch glaube und vertraue.“ Lauterbach sage stets, was Sache sei. Mehrere Tausend Posts sind inzwischen zusammengekommen – nicht alle, aber viele pro Lauterbach. 

Zugleich fand auch ein anderer Hashtag jede Menge Zustimmung: #spahnruecktritt. Erst recht, seit es den neuen Vorwurf gibt, die Apotheken hätten an der Verteilaktion von FFP2-Masken an besonders gefährdete Gruppen dank des Gesundheitsministeriums massiv verdient. Lauterbach selbst hat sich mit Kritik am verantwortlichen Minister immer sehr zurückgehalten. Weil er wohl weiß, wie hart der Job im Gesundheitsressort ist.

An diesem Freitag kommt es nun zu einer ungewöhnlichen Konstellation: Minister Jens Spahn und sein Schatten Karl Lauterbach werden gemeinsam vor der Presse über die Impfungen in Deutschland informieren. Es hat Seltenheitswert, dass ein einfacher Abgeordneter mit aufs Ministerpodium darf. Das zeigt allerdings auch, wie wichtig Spahn mittlerweile Lauterbach und dessen Expertise nimmt oder nehmen muss. 

Auf die Frage, ob ihn die Aktion #WirWollenKarl eigentlich freue, antwortete Lauterbach übrigens am Donnerstag unserer Redaktion: „Dazu sage ich nichts.“ Das kommt wirklich nicht oft vor.

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