„Ich würde mir mehr Rückgrat wünschen“

Die Entscheidung, die AfD von den TV-Debatten auszuschließen, wiegt schwer, sagt Professor Stephan Weichert von der Macromedia-Hochschule Hamburg. SZ-Redakteurin Stefanie Marsch sprach mit dem Medienexperten.

Herr Professor Weichert, war SWR und MDR nicht klar, was sie mit ihrer Entscheidung, die AfD von der TV-Debatte auszuschließen, auslösen würden?

Weichert: Es scheint so, als hätte man da einmal zu wenig nachgedacht. Dabei ist diese Entscheidung schwerwiegend. Sie ist Wasser auf die Mühlen derer, die ohnehin schon behaupten, dass die Medien tendenziös berichten, von der Regierung gesteuert sind und Dinge verschweigen. Natürlich stehen die Sender vor einem Dilemma, wenn Vertreter großer Parteien damit drohen, nicht an der Debatte teilzunehmen. Dennoch würde ich mir wünschen, dass Intendanten und Chefredakteure in so einer Situation mehr Rückgrat und Unabhängigkeit zeigen.

Ist die Situation noch zu retten?

Weichert: Es ist schwierig, da rauszukommen. Egal wie weit man die Debatte treibt, am Ende sind die Medien die Verlierer und ihre Kritiker gestärkt. Der Fall zeigt aber auch, wie nervös die Medienwelt, aber auch die Politik inzwischen sind. Da werden oft schnell und reflexhaft Entscheidungen getroffen. Mir fehlen manchmal Reflexion und Tiefgang. Das ist eine schlechte Tendenz in einer Demokratie.

Spannende Streitgespräche sind die TV-Debatten ohnehin nur noch selten. Welchen Stellenwert haben sie heutzutage noch?

Weichert: Früher, in den 70ern etwa, sah man da echte Köpfe. Heute sieht man eher Frisuren als Köpfe. Es gibt viele Lippenbekenntnisse und viel Blabla. Als Format zur Vermittlung von Politik haben sich die TV-Debatten totgelaufen. Es gibt aber eine Parallel-Diskussion, die immer stärker wird, und die findet in den sozialen Netzwerken statt. Dort gibt es sehr viele relevante Debatten, die aber oft ignoriert werden. Da bräuchten die klassischen Medien mehr Mut zum Experimentieren.

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