"Ich ersterbe in tiefster Ehrfurcht"

Saarbrücken. Eine Niedriglohnpolitik, wie die Preußen sie verfolgten, hat immer auch ihre Kehrseite: Fachkräfte-Mangel. Die preußischen Bergwerksdirektoren befanden sich in einer Notlage, suchten händeringend nach Arbeitskräften. Weil kaum jemand aus anderen Gruben-Revieren zuzog, mussten sie auf die ländliche Bevölkerung zurückgreifen

Saarbrücken. Eine Niedriglohnpolitik, wie die Preußen sie verfolgten, hat immer auch ihre Kehrseite: Fachkräfte-Mangel. Die preußischen Bergwerksdirektoren befanden sich in einer Notlage, suchten händeringend nach Arbeitskräften. Weil kaum jemand aus anderen Gruben-Revieren zuzog, mussten sie auf die ländliche Bevölkerung zurückgreifen. Es waren bäuerlich geprägte Menschen, die von Ernte zu Ernte, im Wechsel von Anstrengung und Entspannung, zu arbeiten gewöhnt waren. Die Arbeitsmoral musste sich ändern. Das lief wie folgt. Ein 1819 erlassenes "Reglement für die Bergleute im königlich-preußischen Bergamtsbezirk Saarbrücken" definierte den idealen Bergmann als "treu, gehorsam und folgsam", in seinem Lebenswandel sollte er "Sittlichkeit, Ordnung und Rechtschaffenheit" beweisen. Zank und Trunkenheit waren untersagt. Wobei solcherart moralische Ansprüche kein Bergbau-Spezifikum waren. Auch Industriearbeiter wurden durch paternalistische Fabrikherren wie etwa Carl August von Stumm erzogen und "gegängelt".Doch im Bergbau dehnte sich die Kontrolle der Steiger und Knappschaftsältesten auch auf die Familien aus. 1820 konkretisierte ein "Strafreglement" Einzel-Vergehen innerhalb und außerhalb der Grube. Die meisten Vergehen wurden mit Geldstrafen belegt oder aber durch Kündigung geahndet, damals "Ablegen des Bergmannes" genannt. Nicht nur das Krankfeiern ("Scheinkrank sein") wurde mit Lohnminderung bis hin zum Entzug der Arbeitsstelle bestraft, auch Petitessen wie das Zuspätkommen zum Verlesen (Einteilung in Arbeitsgruppen) oder das zu frühe Schichtbeenden. Auf diese Art wurden höchstes Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit trainiert.

Für alles musste es eine Erlaubnis geben, etwa auch dafür, nach dem Verlesen ins Wirtshaus gehen zu dürfen. Auch wer zu bergmännischen Feierlichkeiten nicht erschien, musste zahlen. Und Schlägereien auf dem Grubengelände führten zur sofortigen Entlassung.

Unter Tage ging es noch strenger zu. Nahezu kein Arbeits-Handgriff durfte ohne Anweisung des Steigers gemacht werden. Die Abläufe funktionierten nach einem militärischen Befehl- und Gehorsam-System. Insgesamt 26 Strafen listet das Strafreglement auf. Selbst für die Schlafhäuser gab es detaillierte Hausordnungen. Dort waren die Bergleute dem Hausmeister "Gehorsam" schuldig. Für individuelle Bedürfnisse war kein Raum. Nach der Schicht musste die Arbeitskleidung innerhalb einer halben Stunde gegen den "reinen Anzug" gewechselt sein. Um halb neun Uhr abends wurde die Haustür verschlossen, eine halbe Stunde später das Licht gelöscht.

Noch nicht einmal die Ehe war privat. Bergmänner unter 24 Jahren hatten eine Heiratserlaubnis einzuholen. Sie baten dann, wie am 18. November 1855 Heinrich Flegel (22) um "Dispensation". Das hörte sich im Schluss-Gruß dann so an: "(…) ersterbe in tiefster Ehrfurcht eines hochlöblichen Ober Berg Amts treu gehorsamster Heinrich Flegel". Welch ein Unterwerfungs-Gestus.

Der Bergfiskus strebte also nicht nur nach "Verfleißigung" der Arbeiterschaft, der Sicherstellung von Zuverlässig- und Leistungsfähigkeit, sondern nach allgemeiner "Versittlichung". So wurde als Ursache der Armut nicht zu niedrige Lohn angesehen, sondern das vermeintlich verantwortungslose Konsumverhalten der Bergleute - "Genuss- und Putzsucht". Deshalb hielt man sie zur Sparsamkeit an. Heute würde man diese Arbeitgeber-Strategie zur Behebung der sozialen Frage als zynisch empfinden.

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