Hoch umstrittenDie deutsche Debatte um die Sterbehilfe

Berlin. In der schwarz-gelben Koalition gibt es Streit über das geplante Sterbehilfegesetz. Während die Union dafür plädiert, ein Verbot jeder Form der organisierten Sterbehilfe zu prüfen, lehnt die FDP eine weitere Verschärfung des geplanten Paragrafen ab

Berlin. In der schwarz-gelben Koalition gibt es Streit über das geplante Sterbehilfegesetz. Während die Union dafür plädiert, ein Verbot jeder Form der organisierten Sterbehilfe zu prüfen, lehnt die FDP eine weitere Verschärfung des geplanten Paragrafen ab. Die von der Union geforderte Strafbarkeit von unentgeltlichen Beratungen zur Sterbehilfe sei unverhältnismäßig, sagte der FDP-Abgeordnete Michael Kauch. Da Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland nicht in jedem Falle strafbar sei, dürfe man auch die Förderung dieser Tätigkeit nicht generell unter Strafe stellen.Der Bundestag berät heute erstmals über den Gesetzentwurf aus dem FDP-geführten Justizministerium. Dieser sieht vor, die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen. Angehörige und nahestehende Personen, die einen Sterbewilligen zum Suizid ins Ausland begleiten, machen sich hingegen nicht strafbar. Die Union forderte zuletzt, ein Verbot von jeder Form der organisierten Förderung der Sterbehilfe zu prüfen. Dafür plädieren unter anderen die beiden großen Kirchen. Zudem verlangt die Union, die vorgesehenen Ausnahmeregelungen für Angehörige und Nahestehende stärker einzuschränken.

Kritiker befürchten, dass sich keine exakte Trennlinie zwischen gewerbsmäßiger und nicht-gewinnorientierter Sterbehilfe ziehen lässt. "Man kann schon jetzt absehen, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form umgangen werden kann und wird", sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU). Kauch wies solche Bedenken vehement zurück: "Das dient nur dem Ziel, jede Debatte über ärztlich assistierten Suizid im Keim zu ersticken und seine persönliche Haltung der Gesellschaft per Strafrecht aufzuzwingen. Und das geht nicht."

Der FDP-Politiker räumte jedoch ein, dass das Gesetz nicht so präzise formuliert sei, dass alle möglichen Formen der Sterbehilfe-Beratung einzuordnen wären. "Wir machen hier ausdrücklich keine Gesetzgebung zu bestimmten Vereinsmodellen. Es muss jedoch aus meiner Sicht zwingend möglich sein, dass Vereine für die Ermöglichung der Sterbehilfe in Deutschland eintreten", sagte der Experte für Palliativmedizin. Im Zweifelsfall müssten die Gerichte dies klären. Ein Verbot sei nur erforderlich, wenn der Betreffende damit Gewinne erzielen wolle, sagte Kauch.

Hoch umstritten ist auch der zweite Absatz des Gesetzes, der Ausnahmeregelungen für Angehörige und nahestehende Personen des Sterbewilligen vorsieht. Nach Ansicht der Bundesärztekammer wird mit dem Passus eine "gesetzliche Grundlage für Ärzte als Sterbehelfer" geschaffen. Auch die Unionsfraktion sieht Diskussionsbedarf. Die Ausnahmen dürften nur für ganz enge Angehörige in Notsituationen gelten.

Die FDP will jedoch an diesem Passus festhalten. Wenn es eine Ausnahme für die Ehefrau eines sterbenskranken Mannes gebe, müsse dies auch für sonstige nahestehende Personen gelten. "Wenn ein Sterbewilliger ohne nahe Angehörige beispielsweise seinen engsten Freund bittet, ihn zu begleiten. Den möchte ich mit dem Strafrecht nicht bedrohen", sagte Kauch. Auch Ärzte dürften davon nicht ausgenommen werden: "Es geht um die Frage, ob sie aus persönlicher Verbundenheit beispielsweise einen Sterbewilligen begleiten, möglicherweise auch ins Ausland, und ich finde, da kann nicht die Frage sein: Ist derjenige Schornsteinfeger, Bäcker oder Arzt. Sondern ist das eine nahestehende Person."

Unklar ist, ob bei der endgültigen Abstimmung über das Gesetz generell der Fraktionszwang aufgehoben wird und die Abgeordneten allein nach ihrem Gewissen entscheiden sollen. Während die Grünen davon ausgehen, dass die Abstimmung freigegeben wird, hat sich die SPD noch nicht festgelegt. Die Union will die Abgeordneten nicht frei entscheiden lassen.

Unabhängig vom Koalitions streit fordert Kauch eine Debatte über die Erlaubnis eines ärztlich assistieren Suizids: "Ich persönlich trete seit vielen Jahren dafür ein, dass man in Deutschland diese Möglichkeit auch zulässt. Auch die beste Palliativmedizin hilft nicht in jedem Fall so, dass das Leiden erträglich wird." Der Staat sollte seinen Bürgern nicht einfach sagen: Es gibt ja die Möglichkeit, in die Schweiz zu fahren.Berlin. Der Bundestag befasst sich heute in Erster Lesung mit dem FDP-Gesetzentwurf zur Sterbehilfe. Hier einige wichtige Stationen der Debatte um die Beihilfe zur Selbsttötung:

4. Juli 2008: Mehrere Bundesländer bringen einen Antrag in den Bundesrat ein, um gewerbliche und organisierte Sterbehilfe zu verbieten.

29. Juni 2008: Der frühere Hamburger Justizsenator Dr. Roger Kusch teilt mit, dass er über seinen Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe" erstmals beim Suizid einer Frau (79) assistiert habe. Dafür verlangte Kusch 8000 Euro.

22. November 2008: Mehr als ein Drittel der Ärzte würden laut einer Umfrage Patienten bei der Selbsttötung helfen. Für ein Viertel käme sogar aktive Sterbehilfe in Frage.

24. Juni 2010: Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellt ein Ermittlungsverfahren gegen Kusch ein. Er wurde verdächtigt, Sterbewilligen verschreibungspflichtige Medikamente beschafft zu haben und damit gegen das Arzneimittelgesetz zu verstoßen.

1. Juni 2011: Der Deutsche Ärztetag erteilt einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid eine klare Absage.

24. April 2012: Das Bundesjustizministerium legt einen Gesetzentwurf zum Verbot kommerzieller Sterbehilfe vor. Gewerbsmäßige Hilfe zum Suizid soll danach künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.

29. August 2012: Das Kabinett beschließt einen Gesetzentwurf zur Suizid-Beihilfe, der auf Gewinn abzielende Sterbehilfe verbieten soll. Weiter soll aber die Suizid-Beihilfe durch nahestehende Personen erlaubt sein.

28. September 2012: Der Deutsche Ethikrat kritisiert den Gesetzentwurf der Regierung. Er schaffe mehr Anreize für im Gesetzentwurf nicht berücksichtigte Formen der organisierten Sterbebeihilfe. kna

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