Herbie kommt bald groß in Fahrt

Wolfsburg · Es ´klingt nach Hollywood: Autos sollen bald sprechen, selbst fahren und Leben retten können. Mithilfe saarländischer Forscher des DFKI will VW diese Wunderwagen bauen. Die SZ schaute sich in der sonst abgeschotteten VW-Konzernforschung um.

 DFKI-Chef Wolfgang Wahlster (l.), VW-Konzernchef Matthias Müller und VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing (3. und 4. v.l.) zeigen einen intelligenten Roboterarm, der bei der Produktion von Autos helfen soll. Foto: Volkswagen

DFKI-Chef Wolfgang Wahlster (l.), VW-Konzernchef Matthias Müller und VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing (3. und 4. v.l.) zeigen einen intelligenten Roboterarm, der bei der Produktion von Autos helfen soll. Foto: Volkswagen

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Strenge Blicke begleiten jeden Schritt. Handys und Taschen müssen abgegeben werden. In diesem Gebäudekomplex von Volkswagen herrscht strengste Geheimhaltung. Dann darf man ausnahmsweise rein in das "Allerheiligste". An den Ort, an dem die "Welt von morgen" schon heute gelebte Realität ist. Hier pocht das Herz der Forschung, hier sieht man, was künftig möglichst gegenüber allen Konkurrenten in der weltweiten Autoindustrie den Wettbewerbsvorsprung bringen soll.

Gut gelaunt steht VW-Konzernchef Matthias Müller vor einem Roboterarm, der sich, wie von Geisterhand gesteuert, plötzlich in Bewegung setzt und nach einem Getriebe greift, das in ein Auto eingebaut werden soll. Gleichzeitig, und das ist wirklich neu, kommuniziert der Roboter mit einem menschlichen Kollegen. Beide verständigen sich über Arbeitsabläufe. Die Kompetenzen sind eindeutig geklärt. Chef bleibt der Mensch, der jederzeit mit Gesten, etwa dem Heben einer Hand, den Roboter sofort zum Stillstand bringen kann. In einem Tisch, an dem der Roboter als Arbeitsplatz arbeitet, ist zudem eine intelligente Software installiert, die jederzeit alle Arbeitsläufe kontrolliert und dokumentiert. Der Roboter kann künftig auch dem Menschen ausweichen, wenn dieser sich zu sehr seinem Arbeitsbereich nähert. Kameras übermitteln dem Roboter entsprechende Signale. "Weich stellen" nennen Experten diese Reaktion des Roboters. Schon in drei bis fünf Jahren soll eine deutlich größere Arbeitsteilung von Mensch und Roboter mit zahlreichen neuen Möglichkeiten der gegenseitigen Kommunikation in den VW-Standorten möglichst zum Standard gehören.

Müller ist begeistert von dem, was er sieht. Nicht nur, weil er der "Oberboss" aller Roboter und Mitarbeiter im VW-Konzern ist, sondern auch sagt: "Ich bin der erste Vorstandsvorsitzende im Konzern, der eigentlich Informatiker war." Das hat er gelernt. Und wohl auch deshalb kann er besonders gut beurteilen, was vor allem er, der neue Personalvorstand Karlheinz Blessing , der Chef der Konzernforschung, Jürgen Leohold, und andere gestern offiziell auf den Weg gebracht haben: den Start einer umfangreichen Zusammenarbeit mit dem Saarland - speziell dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Aus diesem Anlass konnte unsere Zeitung gestern hinter die Kulissen in Wolfsburg blicken.

Von den DFKI-Standorten in Saarbrücken, Kaiserslautern und Bremen aus sollen zahlreiche Entwicklungen für das Auto der Zukunft mit auf den Weg gebracht werden. VW tritt nicht nur als weiterer Gesellschafter dem DFKI bei, wo auch schon renommierte Auto- und Software-Giganten wie BMW und Google vertreten sind, sondern will nach Auskunft von Blessing viele Einzelprojekte auf den Weg bringen, die sich finanziell "jeweils im sieben-, achtstelligen Bereich" bewegen. Konzernchef Müller hängt die Latte sehr hoch: Man arbeite mit dem DFKI als der "weltweit größten und renommiertesten Wissenschaftseinrichtung für Künstliche Intelligenz " zusammen. Man erwarte großen Input und viele neue Ideen für die Ausstattung komfortabler Autos im Zeitalter von Apps und Internet, für die weitere Digitalisierung von Fabriken, dem Ausbau der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter sowie für die weitere Automatisierung von Unternehmensabläufen. Letzteres werde nicht zu einem Abbau des Personals führen, stellt Blessing klar, sondern zu einer neuen Arbeitsteilung in bestimmten Bereichen der Produktion, die dazu führt, dass Kosten gesenkt werden und Mitarbeiter in bestimmten Bereichen, die automatisiert werden, weiter qualifiziert werden können.

Über das Auto im Internet-Zeitalter haben Blessing und der Chef des DFKI, Wolfgang Wahlster , sehr konkrete Vorstellungen. Nahezu alles soll es könne: autonom Fahren etwa, ohne den Einfluss eines Fahrers. Also wie der Kultkäfer Herbie aus den Hollywood-Streifen - nur besser und intelligenter. "In zehn Jahren steigen Sie in ein Taxi, in dem kein Fahrer mehr sitzt. Sie wählen sich mit dem Smartphone ein, programmieren den Zielort und bezahlen dort auch per Smartphone", prognostiziert Wahlster. Das Auto soll gleichzeitig zum "Smartphone auf Rädern" werden, das alle Anwendungen und Apps auch auf langen Strecken zu einem günstigen Tarif oder einer unbegrenzten Flatrate garantiert, die man künftig beim Mobilfunkanbieter oder dem Autohersteller mit bucht. Das Auto soll schon in naher Zukunft nahezu jeden denkbaren Komfort bieten. Vom automatischen Einparken bis hin zu Fahrzeugen, die miteinander kommunizieren und so Warnmeldungen vor Staus oder gefährlichen Wetterlagen, etwa Aquaplaning, austauschen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass alle Fahrzeuge technisch so ausgestattet werden, dass sie diese Warnungen auch gegenseitig erkennen.

Wahlster glaubt, dass es mit Hilfe der autonom fahrenden Autos bald auch deutlich weniger Staus geben wird. So können solche Fahrzeuge dichter auffahren, ohne dass daraus eine Unfallgefahr entsteht. "Bei einer Regelgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometer schafft so etwas kein Mensch." Er prognostiziert, dass es bald Städte geben wird, die wegen Staugefahr in der City sogar das Umschalten auf autonomes Fahren vorschreiben. Bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten ist das DFKI gleichzeitig auch an einer anderen Front ganz vorne dabei: der Entwicklung von Sicherheitstechnik, die verhindert, dass sich Hacker in die Systeme "einklinken" und beispielsweise Autos während der Fahrt manipulieren können.

Blessing und Leohold als Leiter der Konzernforschung glauben, dass im Saarland bei der Entwicklung neuer Anwendungen für das Auto der Zukunft viel Musik spielt. "Wir müssen die Chancen der Informatik, die wir in Saarbrücken haben, auch in Instituten wie dem DFKI, branchenübergreifend nutzen. Das Saarland mit seiner Mischung aus Autoland, Autozulieferer und Informatik kann ein Stück weit Labor und Vorreiter sein für globalere, weltweit neue Entwicklungen", sagt Blessing. Dieses Labor, wie zu hören ist, wollen sich die Vorstandschefs von VW , BMW und Mercedes im Juni näher ansehen. Und sich auch bei der Landesregierung darüber informieren, was man noch für das Auto der Zukunft hier entwickeln könnte. Dabei wollen die Herren nicht als Konkurrenten kommen. Denn in bestimmten Bereichen wie der Grundlagenforschung habe man als deutsche Autoindustrie durchaus die gleichen Interessen.

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